Der bewegte Mann: Sarkozy möchte Antreiber der EU bleiben Von Hans-Hermann Nikolei, dpa

30.12.2008 02:00

Paris (dpa)- Nach einem turbulenten Halbjahr unter der Führung des
energischen Präsidenten Nicolas Sarkozy können sich die Europäer auf
eine Fortdauer des französischen Führungsanspruches einstellen.
«Nicolas Sarkozy? Er zieht am 1. Januar in Prag ein», scherzt der
französische Budgetminister Eric Woerth. Die Regierung in Prag
übernimmt am 1. Januar von Paris den EU-Ratsvorsitz.

Sarkozy will die als euroskeptisch geltende Regierung Tschechiens
auf Trab halten. «Die Europäer werden keine Rückkehr zur
Unbeweglichkeit mehr akzeptieren», heißt es im Élyséepalast. Sarkoz
y
dürfte Initiativen entfalten für die Euro-Zone, zu der nach Pariser
Ansicht eines Tages Großbritannien stoßen wird, und für einen
gemeinsamen Wirtschafts- und Sicherheitsraum mit Russland, der
Ukraine und der Türkei.

«Europa muss Politik machen», erklärte Sarkozy beim jüngsten EU-
Gipfel in Brüssel. «Europa muss die Welt rütteln, damit sie sich
ändert.» Im Georgienkrieg und in der Weltfinanzkrise begriff der
Franzose als erster das Ausmaß der sich anbahnenden Katastrophe,
setzte sich ohne Mandat über diplomatische Gepflogenheiten hinweg und
erzwang schnell eine Waffenruhe und internationale Regelungen. Europa
setzte dabei Maßstäbe für Amerikaner und Russen. Dafür nahm Sarkozy
in Kauf, dass zentrale Fragen in den Abkommen offen blieben, zum
Beispiel die Einheit Georgiens und die Flüchtlingsfrage. «Man muss
Risiken eingehen», sagt er.

Um seine Ziele zu erreichen, hebelte Sarkozy die EU-Regeln aus und
handelte an den behäbigen Institutionen vorbei. Nach Moskau flog er,
ohne sich zuvor mit den EU-Partnern abzustimmen, um «den Vormarsch
russischer Panzer auf Tiflis zu stoppen». Und in der Finanzkrise lud
er die EU-Granden zum Vierergipfel und zum Euro-plus-Großbritannien-
Gipfel, um Deutschland und andere Zauderer zum Handeln zu zwingen und
die Weltfinanzkonferenz in den USA durchzusetzen.

Treffen auf diesen Ebenen sind in der EU nicht vorgesehen. Doch
Bundeskanzlerin Angela Merkel sträubte sich vergeblich dagegen.
Pragmatismus und Aktion gingen vor Gesetzestafeln, erklärte Sarkozys
Europa-Staatssekretär Jean-Pierre Jouyet: «Verträge sind für ruhige
Zeiten gemacht.»

Die EU-Kommission war in den großen Krisen zunächst unhörbar und
wurde von dem rührigen Franzosen für seine Pläne voll eingespannt.
Sarkozy habe den Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso zu seinem
«Premierminister» in der EU gemacht, schrieb «Le Journal du
Dimanche». Barroso braucht den Franzosen für seine Wiederwahl 2009.

Sarkozy hat damit Europa verändert: Die Kommission verlor Macht
und Einfluss an die nationalen Regierungen. Und das soll nach dem
Willen des Franzosen auch so bleiben. «Die Kommission braucht eine
starke Führung an der Spitze des Europäischen Rates», sagte Sarkozy
bei seinem Abschiedsgipfel. Sonst müsste die Kommission «gleichzeitig
Hüter des Geistes der Verträge sein und Politik machen». Der
Präsident der Kommission müsse «in den Grenzen der Politik» arbeite
n.

Darin ist Sarkozy mit Gordon Brown einig, seinem Bündnispartner in
der EU. Mit dem britischen Premierminister hatte er auch Merkel unter
Trommelfeuer gesetzt, um die Sondergipfel zur Finanzkrise und das EU-
Konjunkturpaket durchzusetzen. «Der Élysée ist der Ansicht, dass
Sarkozy den Kampf um die Führung in Europa gegen Angela Merkel
gewonnen hat», schrieb die «Monde» nach einem Gespräch mit
Präsidentenberatern.

Allseits Beifall findet Sarkozy, weil er Frankreich in die Mitte
Europas zurückgeholt hat, nachdem das Land mit seinem Nein zur EU-
Verfassung 2005 ins Abseits geraten war. Mit seinen unabgestimmten
Initiativen stieß er aber mehr als einmal auf Granit, vor allem bei
Merkel. Die Ratspräsidentschaft «hat mich vor allem gelehrt, die
Probleme der anderen in Rechnung zu stellen», sagte Sarkozy am
Schluss mit einem Hauch ungewohnter Selbstkritik.

Widerstand bekam Sarkozy gleich zu Beginn zu spüren. Der Franzose
wollte unter Frankreichs Führung einen Zusammenschluss von Marokko
bis zur Türkei in einer Mittelmeerunion, in der die EU nur Gastrecht
haben sollte wie die Arabische Liga. Merkel sagte «Nein» und Sarkozy
musste sich damit begnügen, dem alten Barcelona-Prozess der EU einen
Verwaltungsrahmen zu geben. «Als die Franzosen sich ihr eigenes
Hinterland bauen wollten, haben die Deutschen das torpediert»,
analysiert das «Figaro-Magazin». Doch Sarkozy feierte auch das noch
mit einem «historischen Mittelmeer-Gipfel» im Pariser Grand Palais.

Am Luxemburger Jean-Claude Juncker und an Merkel biss sich Sarkozy
beim Versuch die Zähne aus, sich an die Spitze der Eurogruppe zu
setzen. Die Euro-Gipfel werden nicht institutionalisiert. Und es
gelang dem Franzosen auch nicht, die störrischen Iren in der Frage
des Reformvertrages zum Nachgeben zu bewegen. Am Ende musste er der
Regierung in Dublin alle geforderten Zugeständnisse einräumen.

Auch bei den eigentlichen Schwerpunkten seiner Ratspräsidentschaft
- Verteidigung, Agrarpolitik, Klimaschutz - kam Sarkozy um
Kompromisse mit den Polen, Deutschen, Letten oder Italienern nicht
herum. Die deutsch-französische EU-Achse hat unter Sarkozys
ungestümem Vorgehen stark gelitten. Die Zusammenarbeit ging aber auch
bei heftigen Gewittern auf Gipfelhöhe weiter. Zum Schluss seiner
Ratspräsidentschaft schickte Sarkozy Merkel ein Versöhnungszeichen
und ernannte den Germanisten Bruno Le Maire zum Europa-Staatssekretär
und Deutschland-Beauftragten.
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