Noch viele Hürden auf deutsch-polnischem Arbeitsmarkt Gespräch: Bernhard Sprengel, dpa

26.04.2011 11:11

Für das strukturschwache Vorpommern könnte die neue Freizügigkeit
für Arbeitnehmer eine Chance sein. Besonders die boomende Metropole
Stettin könnte positive Auswirkungen auch jenseits der Grenze haben.
Doch noch gibt es viele Hemmnisse.

Pasewalk/Schwerin (dpa) - Trotz der Arbeitnehmerfreizügigkeit ab
1. Mai liegen noch viele Hürden auf dem Weg zu einem gemeinsamen
deutsch-polnischen Arbeitsmarkt. Das Institut für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB) erwartet, dass im ersten Jahr etwa 100 000
Polen nach Deutschland einwandern. Das würde 4000 Zuwanderer für
Mecklenburg-Vorpommern bedeuten, sagte der Leiter der Arbeitsagentur
Pasewalk (Uecker-Randow-Kreis), Christian Justa, in einem Gespräch
mit der Nachrichtenagentur dpa. Dass viele Deutsche sich in der
nahen Metropole Stettin (Szczecin) nach einem Job umschauen,
erwartet er dagegen nicht. «Deutsche nach Polen zu vermitteln, ist
uns noch nie gelungen», sagte Justa. Rechtlich möglich ist dies
bereits seit 2007. Die Hemmnisse seien vor allem das
unterschiedliche Lohnniveau, fehlende Sprachkenntnisse und «mentale
Hürden».

Deutsche, die in Polen arbeiteten, seien in der Regel für
deutsche Firmen tätig und kehrten nach Abschluss des Auftrags wieder
zurück. Wer in einem polnischen Unternehmen arbeiten wolle, müsse
Polnisch können. Nur in ganz wenigen Fällen reiche Englisch. Die
dortigen Arbeitgeber rechneten jedoch gar nicht mit deutschen
Bewerbern, sagte Justa, der selbst Polnisch spricht und die dortigen
Stellenangebote kennt. Die polnischen Arbeitsmarktbehörden fragten
die Anbieter stets, ob auch ein Ausländer für den Posten in Frage
komme. «Ich habe noch nie ein Ja gesehen», sagte Justa. «Die Polen
gehen immer davon aus, dass "die reichen Deutschen" bei "uns armen
Polen" nicht arbeiten wollen.»

Dabei scheint absehbar zu sein, dass sich das unterschiedliche
Lohnniveau bald angleichen wird. «In der Metropolregion Stettin
wächst es schneller als in Uecker-Randow.» In den nächsten Jahren
könnte sich das Verhältnis sogar umkehren, glaubt Justa. In einigen
Fällen verdienten heute schon hochqualifizierte Fachkräfte in
Stettin mehr als westlich der Oder.

Gewerkschaften befürchten, dass zunächst aber das Lohnniveau in
einigen deutschen Branchen durch den Zustrom polnischer
Arbeitskräfte sinken wird. Justa kann diese Befürchtung nicht
ausräumen. Im Arbeitnehmerentsendegesetz sei zwar eine tarifliche
Bezahlung vorgeschrieben, aber nicht, dass es ein deutscher Tarif
sein müsse. Polnische und litauische Leiharbeitsfirmen, die dort
«wie Pilze aus dem Boden schießen», könnten dies ausnutzen. «Soba
ld
Arbeitnehmer darauf aufspringen, ist es so, wie die Gewerkschaften
befürchten.»

Die Angst, Polen könnten geringqualifizierten Deutschen
Arbeitsplätze wegnehmen, hält Justa dagegen für nicht
gerechtfertigt. Er verweist auf den britischen Arbeitsmarkt, der
sich bereits 2004 für die EU-Neumitglieder geöffnet hatte. «Da
wurden britische Helfer auch nicht ausgetauscht gegen polnische.» In
der Regel fehlten Geringqualifizierten einfach die Sprachkenntnisse,
um Einheimische zu verdrängen. Interesse an polnischen
Arbeitskräften hätten gleichwohl schon Hotel- und
Gastronomiebetriebe sowie Krankenhäuser bekundet.

Für arbeitslose Köche in der Woiwodschaft Westpommern könnte es
eine Chance sein, sich als Pendler eine Stelle in Vorpommern zu
suchen. Polnische Ärzte, Krankenschwestern und Hebammen seien
bereits Alltag in den Kliniken von Pasewalk und Schwedt
(Brandenburg).

# dpa-Notizblock

## Orte
- [Arbeitsagentur](Löcknitzer Str. 10, 17309 Pasewalk)