Stiglitz: Berlin exportiert Probleme statt Euro-Krise zu meistern Interview: Christiane Oelrich, dpa

01.06.2012 13:18

Bangkok (dpa) - Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger
Joseph Stiglitz ist ein scharfer Kritiker der europäischen
Sparpolitik zur Lösung der Euro-Krise. Er sieht vor allem Deutschland
in der Pflicht, wie er der Nachrichtenagentur dpa am Rande des
Weltwirtschaftsforums am Freitag in Bangkok sagte. Die Politik von
Bundeskanzlerin Angela Merkel beeindruckt ihn nicht, trotz guter
deutscher Konjunktur.

Professor Stiglitz, was müsste die EU jetzt zur Lösung der Krise tun?

Stiglitz: «Was Europa bislang gemacht hat, ist nicht nur nicht
ausreichend, sondern falsch. Der Sparkurs führt zu weiteren
Konjunktureinbrüchen. Die Aussichten auf eine Lösung sind damit
höchst düster. Es gibt aber mehrere Wege, wie die EU ihre gemeinsame
Stärke nutzen kann, um die Schuldenkrise zu lösen. Dazu gehören
Eurobonds. Die Europäische Zentralbank sollte Geld aufnehmen und
Kredite ausgeben. Das geht auch ohne große Verträge.»

Was müsste Deutschland tun?

Stiglitz: «Deutschland müsste einräumen, dass der Sparzwang ein
Fehler war. Keine große Volkswirtschaft der Welt ist jemals durch
Sparmaßnahmen aus der Krise gekommen. Die Chance, dass das in Europa
funktioniert, ist minimal. Deutschland muss sich in der EU für einen
gemeinsamen Steuerrahmen einsetzen, einen, der auf Wachstum, nicht
Sparpolitik setzt.»

Warum sollen beispielsweise deutsche Steuerzahler für die Probleme in
anderen Ländern aufkommen?

Stiglitz: «Man muss unterscheiden zwischen Fehlern der Vergangenheit
und was für die Zukunft zu tun ist. Welchen Preis soll Griechenland
noch für vergangene Fehler zahlen? Viele der Probleme sind die Folge
von dem, was die Europäische Union politisch gewollt und ermöglicht
hat: die Liberalisierung der Finanzmärkte, den gemeinsamen Markt im
Finanzsektor, Derivate. Man kann Spanien oder Irland jetzt nicht
vorwerfen, sie hätten mit ihrer Politik, die den Boom des
Immobilienmarktes möglich machte, gegen europäische Richtlinien
verstoßen.»

Gibt es auch gute Noten für Bundeskanzlerin Merkel in der Krise?

Stiglitz: «Es ist als Außenstehender schwer zu beurteilen, wie
schwierig es ist, politischen Kräfte in einem Land auszubalancieren.
Frau Merkels Koalitionspartner war in der Euro-Krise weniger
hilfsbereit. Sie hat Hilfe für Griechenland durchbekommen, obwohl ich
denke, dass war zu wenig und zu spät - aber besser ein bisschen als
gar nichts. Die Diskussionen, die die Bundesregierung in jüngster
Zeit führt, etwa über Lohnerhöhungen, gehen in die richtige
Richtung.»

Die deutsche Wirtschaft läuft. Auch da keine guten Noten für Frau
Merkel?

Stiglitz: «Es ist immer schwierig zu sagen, in welchem Umfang der
Erfolg einer Volkswirtschaft auf gute Führung zurückzuführen ist oder

einfach auf gute Fügung. Dass die deutsche Wirtschaft gut läuft,
liegt teils an europäischen Rahmenbedingungen, die nicht schlüssig
sind. Wenn man wächst, indem man Überschüsse produziert, exportiert
man die Probleme in andere Länder - irgendjemand muss dann Defizite
haben. Die USA kritisieren China massiv wegen seiner Überschüsse und
der Folgen für die Weltwirtschaft. Deutschland macht eine ähnliche
Politik. Interessant, dass die USA da den Mund nicht so aufmachen.»

Wäre ein Austritt Griechenlands im Interesse der anderen Euro-Länder?

Stiglitz: «Ein Ende des Euros wäre mit Sicherheit nicht im Interesse
Deutschlands. Die Kosten wären kurz- und langfristig riesig.
Deutschland wäre mehr als alle anderen betroffen, unter anderem, weil
der Euro aufgewertet würde und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit
dadurch beeinträchtigt wird.»

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