Isländer zum EU-Beitritt: Nicht in «brennendes Hotel» einziehen Von Thomas Borchert, dpa

18.07.2012 08:29

Während Islands Regierung mit Brüssel verhandelt, dreht sich die
Stimmung im Land immer mehr gegen eine EU-Mitgliedschaft. Beobachter
in Reykjavik halten die Rücknahme des Beitrittsgesuchs im nächsten
Frühjahr für wahrscheinlich.

Reykjavik (dpa) - Weniger als zwei Jahre nach Beginn von
EU-Beitrittsverhandlungen rudern die Isländer immer kräftiger zurück

und könnten bald auch offiziell wieder Kurs weg von Brüssel nehmen.
«Wer möchte sich schon in einem brennenden Hotel einmieten?» fragte
die populäre TV-Moderatorin und zeitweilige
Präsidentschaftskandidatin Thóra Anórsdóttir jüngst und drückte
damit
das Grundgefühl bei den meisten ihrer Landsleute aus.

Sieger bei der Direktwahl Ende Juni wurde dann der bisherige
Präsident Ólafur Ragnar Grímsson, der den Widerstand gegen eine
EU-Mitgliedschaft ins Zentrum seiner Kampagne gestellt hatte. Beide
zusammen kamen auf 85 Prozent der Stimmen. Bei den Parlamentswahlen
im nächsten Frühjahr erwarten Beobachter in Reykjavik vielleicht
schon den endgültigen Todesstoß für die EU-Pläne der
sozialdemokratischen Regierungschefin Jóhanna Sigurdardóttir.

«Die Konservativen liegen haushoch vorn und dürften nach einem
Wahlsieg Islands Beitrittsgesuch wohl schlicht zurückziehen», sagt
die Politikwissenschaftlerin Stefania Oskarsdóttir. Schon jetzt muss
Sigurdardóttirs Partei im ältesten Parlament der Welt, dem «Althing
»,
mutterseelenallein für die EU-Mitgliedschaft argumentieren.

Wirtschaftsminister Steingrímur Sigfússon vom linksgrünen
Koalitionspartner hat offen erklärt, dass auch er eine Rücknahme des
Beitrittsgesuchs für «denkbar» halte. Seine Partei möchte
wiedergewählt werden und kennt die Umfragen mit massivem Übergewicht
unter den 320 000 Isländern gegen die EU-Mitgliedschaft.

Außenminister Össur Skarphédinsson von den Sozialdemokraten meinte

Ende Juni in Brüssel tapfer, er spüre «zunehmendes Verständnis
zwischen Island und Europa» bei den durchaus flüssig laufenden
Beitrittsverhandlungen. Aber das war vor dem jetzt in der zweiten
Jahreshälfte anstehenden Tauziehen über die Integration des
Beitrittskandidaten in den gemeinsamen Fischereimarkt. Die völlige
Selbstbestimmung über die eigene 200-Meilen-Fischereizone gilt den
meisten Isländern nach wie vor als beste kollektive
«Lebensversicherung».

Anders sah es nur kurz aus, als der Euro den Bürgern 2008 nach dem
katastrophalen Banken-Kollaps auf der Atlantikinsel wie der rettende
Hafen nach dem Sturm auf hoher See erschien. Wie soll die winzige
Landeswährung Krone allein in der globalisierten Finanzwelt überleben
können, fragte die Ministerpräsidentin und verwies auf den Kurssturz
der Krone von zeitweise 75 Prozent bei astronomisch hohen Zinsen.

Inzwischen aber hat gerade die massive Abwertung der eigenen
Währung der Fischerei und dem Tourismus, Islands wichtigstem
Erwerbszweigen, wieder auf die Beine geholfen: Sie sind für
Auslands-Kunden viel billiger und attraktiver geworden. Umgekehrt
eilt die EU von Finanzkrise zu Finanzkrise in zunehmend
beängstigenderen Dimensionen. Der «Hafen» wirkt nicht mehr so sicher.


«Da bin ich doch schon sehr zuversichtlich, dass nichts wird aus
dem Beitritt», sagt der Fischerei-Manager Kristjan G. Joakimsson in
Ísafjördur. Seine Familie gehört zu den zehn größten Besitzern vo
n
Fischfangrechten und damit zur vielleicht immer noch
einflussreichsten Bevölkerungsgruppe bei den Wikinger-Nachfahren.