Euro-Krise beflügelt Rassismus - aber nicht überall Von Takis Tsafos und Emilio Rappold, dpa

05.10.2012 14:16

Die Euro-Schuldenkrise lässt viele Südeuropäer verzweifeln. Vor allem

in Griechenland sind die Einwanderer ein willkommener Sündenbock für
Armut und Arbeitslosigkeit. Faschistische Parteien haben Zulauf.

Athen/Madrid (dpa) - Dutzende Polizisten sperren eine Straße im
Herzen Athens ab, schauen den Passanten genau ins Gesicht. Wer dunkle
Haut hat und kein akzentfreies Griechisch spricht, ist verdächtig.
Wer sich nicht ausweisen kann, wird abgeführt. Großrazzien gegen
illegale Einwanderer sind in Griechenland inzwischen an der
Tagesordnung. Sie sind auch ein wichtiges Ventil für den Unmut vieler
Bürger, die den Migranten die Schuld an der Elendsspirale geben.

Denn in Griechenland hat die Euro-Schuldenkrise zu einem
sprunghaften Anstieg des Rassismus geführt. Das Land geht damit einen
Sonderweg unter den Krisenstaaten. Weil es das Einfallstor illegaler
Einwanderer nach Europa ist, werden die hier strandenden Migranten
zum Sündenbock. Anders ist die Lage in Spanien, Portugal und auch
Italien: Dort werden für das wachsende Elend vor allem die eigene
Regierung und Brüssel verantwortlich gemacht.

1,5 Millionen Nicht-EU-Ausländer hat die Hoffnung auf ein besseres
Leben nach Griechenland getrieben. In dem kleinen Land an der
südöstlichen Außengrenze Europas leben Hunderttausende ohne Papiere.

Doch legale Arbeit gibt es für sie nicht. Fast jeder vierte Grieche
ist selbst arbeitslos. Und vielen verzweifelten Griechen sind die
Fremden ein Dorn im Auge.

Die griechische Presse warnt vor einem «rassistischen Amoklauf» in
dem Elf-Millionen-Einwohner-Land. In den vergangenen drei Jahren
stieg die rechtsextremistische Partei «Goldene Morgenröte» quasi aus

der Bedeutungslosigkeit auf und zog mit 18 Abgeordneten ins Parlament
ein. Umfragen sehen sie aktuell sogar bei zehn Prozent.

Die krisengeplagten Menschen wollen den Rechten nur zu gerne
glauben, dass alle Griechen wieder Arbeit hätten, wenn nur die
Ausländer endlich weggingen. Wer Einwanderer einstelle, sei ein
«Feind der Nation», skandieren die Faschisten - und verteilen Essen
an notleidende Griechen.

Ministerpräsident Antonis Samaras spricht von einer «unglaublichen
Lage»: «Wenn Sie die Wirtschaftskrise und die damit verbundene
Verunsicherung mitzählen, dann haben Sie eine tödliche Mischung.» Ein

Todesopfer gab es schon. Mitten in Athen stachen schwarz gekleidete
Männer im August einen dunkelhäutigen Mann nieder. Der 19-Jährige
verblutete. Die Tat ist kein Einzelfall. Migrantenorganisationen
berichten von mehr als 200 Überfällen allein im September.

In den anderen südeuropäischen Euro-Krisenländern gibt es keine
vergleichbare Tendenz. In Spanien, wo ebenfalls jeder Vierte ohne
Arbeit dasteht, sind seit dem Ausbruch der Krise kaum Überfälle auf
Ausländer bekanntgeworden. Rechtsradikale Organisationen spielen so
gut wie keine Rolle. Allerdings kehren wegen der Krise auch viele
Ausländer in ihre Heimat zurück, vor allem die Südamerikaner. Ähnli
ch
ist die Lage beim Nachbarn Portugal. «Es gibt natürlich auch hier in
Portugal Vorurteile gegen Ausländer, aber in keinem anderen Land
Europas fühle ich mich so geborgen wie hier», sagt die Ukrainerin
Natascha (32).

Auch in Italien sind rassistische Übergriffe bisher Einzelfälle.
Kürzlich wurden in Rom Jugendliche festgenommen, die in einem Bus
einen Ecuadorianer mit «Geh-nach-Hause!»-Rufen beschimpft hatten. Im
September wurden sudanesische Flüchtlinge mit Steinen beworfen und
mit einem Messer bedroht. Aber der Zorn der Bürger richtet sich eher
gegen «die da oben» in Rom, Brüssel - und Berlin.

Dass die Lage in Griechenland so dramatisch ist, hat viel mit der
geografischen Lage zu tun. Aus den Kriegs- und Krisengebieten im
Nahen Osten und in Nordafrika strömen die Menschen in das aus der
Ferne sicher und reich erscheinende EU-Land. Einmal angekommen, ist
die Ernüchterung groß. In fast allen Vierteln Athens gehören
Ausländer zum Stadtbild, die in Müllcontainern nach Essbarem suchen.
Andere fischen nach Aluminiumdosen und anderem Müll, mit dem sich
noch ein paar Euro verdienen lassen.

Zunächst pferchten die Behörden die Einwanderer in den
heruntergekommenen Arbeitervierteln zusammen. Die Kriminalität stieg
und hat inzwischen die vornehmen Stadtteile erreicht. «Jetzt ist es
zu spät», sagt Tavernenbesitzer Aristarchos Giannakos (66)
resigniert. Sein Lokal liegt mitten in der Migrantenhochburg Kypseli.
Obwohl das Thermometer zur besten Ausgehzeit noch 29 Grad zeigt, sind
fast alle Plätze leer.