Nach 120 EU-Gipfeln: Die Ära Juncker ist beendet Von Dieter Ebeling, dpa

25.10.2013 16:19

Vieles hat er bewegt, viele Schlachten gewonnen. Aber nach einer
Geheimdienstaffäre und vorgezogenen Wahlen ist Jean-Claude Juncker
entmachtet. Der dienstälteste Regierungschef der EU geht.

Brüssel (dpa) - So endet eine Ära. In Brüssel tritt Jean-Claude
Juncker (58) um 13.56 Uhr vor die Journalisten, um ihnen über den
EU-Gipfel zu berichten. Zur gleichen Zeit betritt in Luxemburg sein
wahrscheinlicher Nachfolger den großherzoglichen Palast. Heute geht
es in einer hinteren Ecke im 2. Untergeschoss des EU-Ratsgebäudes
nicht um den EU-Gipfel, es geht um den letzten Auftritt einer
EU-Legende. Der Doyen der EU-Politiker geht von Bord.

«Ich rede nicht gerne über meine Gefühle», sagt Juncker, sichtli
ch
um Fassung bemüht. Fast 19 Jahre lang war er Regierungschef, seit
langem der dienstälteste in der Runde seiner Kollegen. «Ich glaube,
ich habe über 120 Europäische Räte (Gipfel) mitgemacht. Und 350
Ecofin-Sitzungen (der Finanzminister). Das ist wirklich eine ganze
Menge», rechnet er vor. Was er gefühlt habe? «Ich habe versucht, das

so professionell wie möglich zu machen, um da nicht in
Gefühlsausbrüchen mich selbst und andere untergehen zu lassen.» Und
dann setzt er doch hinzu: «Aber weh tut das schon.»

Juncker war nicht nur als Regierungschef, sondern auch schon zuvor
als Finanzminister einer, der vielleicht mit der größten Begeisterung
und dem meisten Herzblut immer mehr Europa wollte - als
Friedensgarantie und als Demokratiemodell. Es war Juncker, der den
Euro miterfand - und es war Juncker, der acht Jahre lang als
Vorsitzender der Eurogruppe für das Große und auch das Kleingedruckte
der gemeinsamen Währung verantwortlich war. Und als oberster
Finanz-Krisenmanager der EU sah er manchmal blass, grau und
übernächtigt aus - 20 Stunden täglich im Dienst, einer selbst
auferlegten Pflicht gehorchend.

«Dieser Rat (Gipfel) war wesentlich weniger schwierig als viele
andere es waren», sagt er am Freitag unter Bezug auf Sachprobleme.
Natürlich wird er gefragt, was er davon hält, als Spitzenmann der
größten Partei des Landes von den drei kleineren Parteien gestürzt
worden zu sein: «Ich kommentiere die Innenpolitik nicht außerhalb der
Landesgrenzen», sagt er. «Aber ich werde sicher noch Gelegenheit
haben, zu sagen, was ich vom Verhalten der anderen Parteien halte.»

Bitter klingt das, obwohl Juncker gerade das vermeiden will. Was
in den kommenden Jahren am wichtigsten für Europa sei, wird er
gefragt. Er meint: Das Thema «soziale Dimension» sei in der EU «nach

wie vor unterbeleuchtet». «Dies wird eines Tages zu schroffen
Abwehrbewegungen bei der europäischen Arbeitnehmerschaft führen.» Bei

der Wirtschafts- und Finanzkrise könne es «jederzeit Rückschläge
geben». Und «auch intern sind die Dinge noch nicht so schlüsselfertig

geregelt wie sie es sein müssten, um bei einem erneuten krisenhaften
Geschehnis die Eurozone in die Lage zu versetzen, adäquat zu
reagieren». Und die EU-Staaten müssten mehr für Entwicklungspolitik
tun, auch wegen der Flüchtlingsströme: «Letztendlich ist vor Ort zu
helfen, dort wo die Probleme entstehen. Das tun wir in völlig
ungenügender Weise.»

Als Junckers Pressekonferenz in Brüssel endet, ist in Luxemburg
der Liberalen-Chef Xavier Bettel (40) von Großherzog Henri bereits
zum «Formateur» ernannt, also mit der Regierungsbildung beauftragt
worden. Und im 3. Obergeschoss sagt Angela Merkel gerade: «Ich
schätze die Arbeit von Jean-Claude Juncker sehr - er ist ein
erfahrener Europäer, das ist unbestritten.» Aber im 2. Untergeschoss
tritt Juncker allen Spekulationen entgegen, er könne noch an einem
hohen politischen Amt interessiert sein. Jetzt will er die Opposition
führen und daheim bleiben: «Ich habe nicht die Absicht, mich aus der
luxemburgischen Politik zurückzuziehen, ganz im Gegenteil.»