Europäischer Gerichtshof kippt Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung

08.04.2014 11:26

Die obersten europäischen Richter stellen die Vorratsdatenspeicherung
infrage. Die EU-Regeln gehen ihnen zu weit und verstoßen gegen die
Grundrechte der Bürger. Allerdings halten die Richter das Prinzip an
sich durchaus für zulässig.

Luxemburg (dpa) - Der Europäische Gerichtshof hat das umstrittene
EU-Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für ungültig erklärt. Die
massenhafte Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten
ohne konkreten Anlass sei ein «Eingriff von großem Ausmaß und von
besonderer Schwere» in die Grundrechte der Bürger, urteilten die
Luxemburger Richter am Dienstag (Rechtssachen C-293/12 und C-594/12).
Sie verletze das Recht auf Datenschutz und die Achtung des
Privatlebens. In Deutschland sieht Bundesjustizminister Heiko Maas
(SPD) nach dem Urteil keinen Grund mehr, schnell einen deutschen
Gesetzentwurf dazu vorzulegen.

Die Vorratsdatenspeicherung soll bei der Aufklärung schwerer
Verbrechen wie organisierter Kriminalität und Terrorismus helfen.
Fahnder können auf die gesammelten Daten zugreifen und wissen etwa,
wer wann mit wem telefoniert hat. Der Inhalt von Gesprächen wird aber
nicht gespeichert.

Die Richter kritisieren, dass die Daten sehr genaue Schlüsse auf
das Privatleben von Bürgern ermöglichten, etwa auf ihren
Aufenthaltsort, auf Reisen oder soziale Beziehungen - und zwar, ohne
dass die Betroffenen davon etwas erfahren. Dies könne bei den Bürgern
«das Gefühl erzeugen, dass ihr Privatleben Gegenstand einer ständigen

Überwachung ist», heißt es in dem Urteil.

Die Luxemburger Richter kommen daher zu dem Schluss, dass der
Gesetzgeber beim Erlass der Richtlinie von 2006 die Grenzen der
Verhältnismäßigkeit überschritten habe. Das Datensammeln von bis zu

zwei Jahren sei nicht auf das absolut notwendige Maß beschränkt, weil
es sämtliche Bürger und elektronische Kommunikationsmittel ohne jede
Differenzierung oder Ausnahme umfasse. Die Richter kritisieren auch,
dass die nationalen Behörden ohne Einschränkung auf Daten zugreifen
und der Zugang nicht an bestimmte Straftaten oder an eine
richterliche Anordnung geknüpft ist.

Zwar verwirft der Europäische Gerichtshof die Richtlinie komplett,
nicht aber das Prinzip der Vorratsdatenspeicherung. In dem Urteil
heißt es, dass diese «eine dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung
darstellt.» Sie helfe im Kampf gegen schwere Kriminalität und diene
der öffentlichen Sicherheit. Allerdings gehe es um die
Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.

Die Vorratsdatenspeicherung ist in der EU hoch umstritten. In
Deutschland gibt es derzeit keine gesetzliche Regelung dazu. Das
Bundesverfassungsgericht hatte die deutschen Vorgaben 2010 gekippt.
Die damalige schwarz-gelbe Regierung konnte sich danach nicht auf
eine Neufassung einigen. Union und SPD hatten im Koalitionsvertrag
vereinbart, die Vorratsdatenspeicherung wieder einführen zu wollen.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht nun keinen Grund mehr
für einen raschen deutschen Gesetzentwurf. «Damit ist eine neue
Situation eingetreten», sagte Maas in Berlin. «Die Grundlage für die

Vereinbarung im Koalitionsvertrag ist entfallen. Deutschland ist
nicht mehr zu einer Umsetzung der Richtlinie verpflichtet.» Auch
EU-Geldbußen drohten nicht mehr.

Der Europäische Gerichtshof schaltete sich in den Streit ein,
nachdem eine irische Bürgerrechtsorganisation, die Kärntner
Landesregierung und mehrere Tausend Österreicher gegen die
Datenspeicherung geklagt hatten.