Faktencheck: Nimmt Deutschland EU-weit die meisten Flüchtlinge auf?

22.09.2014 16:39

Berlin (dpa) - Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) beklagen, in der EU verteile
sich die große Mehrheit der Asylbewerber auf Deutschland und drei,
vier weitere Staaten. Stimmt das?

Im ersten Quartal 2014 haben rund 108 300 Flüchtlinge in den 28
EU-Staaten um Asyl gebeten. Davon meldete sich der Löwenanteil -
nämlich 36 890 oder gut ein Drittel - in Deutschland, wie die
Statistikbehörde Eurostat berichtet. Damit steht die Bundesrepublik
EU-weit an der Spitze. Den zweiten Platz belegt Frankreich mit
15 885, gefolgt von Schweden mit 12 945 und Italien mit 10 700
Bewerbern.

Aussagekräftiger ist aus Sicht vieler Experten aber, die
Asylbewerberzahlen ins Verhältnis zur Größe der Bevölkerung zu
setzen. Den höchsten Flüchtlingsanteil hat laut Eurostat aktuell
Schweden. Hier wurden von Januar bis März 1355 Bewerber pro eine
Million Einwohner gezählt. Deutlich dahinter rangieren Luxemburg
(500), Malta (475), Deutschland (460) sowie Belgien (455) und Zypern
(445). Noch viel geringer ist die Quote etwa in Portugal (5) sowie in
der Slowakei und Estland (jeweils 15). Italien, wo zuletzt Massen an
Bootsflüchtlingen angelandet sind, liegt dabei mit 180 Asylbewerbern
pro eine Million Einwohner nur im Mittelfeld.

Die krassen Unterschiede erklären sich vor allem daraus, dass es in
Europa derzeit kein Verteilsystem nach festen Schlüsseln gibt, so wie
etwa unter den deutschen Bundesländern. In der EU gilt die Regel,
dass jenes Land für einen Asylbewerber zuständig ist, in dem dieser
zuerst europäischen Boden betritt.

Diskutiert werden daher seit langem feste Kontingente innerhalb der
EU. Dabei könnte aus Sicht von Experten nicht nur die
Bevölkerungsgröße als Kriterium zählen, sondern auch die
Wirtschaftskraft, die Fläche oder die Arbeitslosenquote
berücksichtigt werden.

Zurzeit drängen viele Flüchtlinge, die in Spanien, Italien und
Griechenland ankommen, nach Norden. Ein Grund ist die oft
beklagenswert schlechte Unterbringung der Menschen in den
Mittelmeerstaaten sowie die lange Dauer der meisten Verfahren.

Aus Sicht des Migrationsforschers Dietrich Thränhardt ist von großer
Bedeutung auch der Vergleich, «wie viele Flüchtlinge ein Staat
endgültig aufnimmt, wie er sie behandelt und wie viel Elend er dabei
mildert». In dieser Hinsicht hatten 2012 Schweden, die Schweiz,
Belgien und Österreich die Nase vorn. Die Bundesrepublik rangiert
dabei im Mittelfeld, mit größerem Abstand folgen die großen
EU-Staaten Frankreich, Italien und Großbritannien. Sein Fazit:
Innerhalb der EU könne man nur Schweden eine aktive
Flüchtlingsaufnahmepolitik bescheinigen.

Die 20 00 syrischen Flüchtlinge, deren Aufnahme die Bundesregierung
beschlossen hatte, werden übrigens nicht in der deutschen
Asylbewerber-Statistik erfasst. «Die Kontingentflüchtlinge sind keine
Asylbewerber, sondern bekommen humanitäre Aufenthaltstitel»,
erläuterte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Bisher seien
mindestens 8000 der 20 000 Syrer eingereist.