Sicherheit kontra Freiheit: Die EU ringt um Anti-Terror-Strategie Von Marion Trimborn und Alexander Welscher, dpa

29.01.2015 16:35

Wie kann Europa wirksam gegen islamistischen Terrorismus vorgehen?
Die EU-Innenminister setzen auf bewährte Rezepte wie
Massenüberwachung und Grenzkontrollen. Kritiker werten das als
Symbolpolitik, die nicht wirklich hilft.

Riga/Brüssel (dpa) - Die Anschläge von Paris haben den Europäern die

Gefahr des islamistischen Terrors auf grausame Weise wieder in
Erinnerung gebracht. Europa muss schlagkräftiger gegen Terroristen
werden, lautet seitdem die gängige Forderung. Doch auch drei Wochen
nach den Attacken in Frankreich, bei denen 17 Unschuldige ums Leben
kamen, scheinen Europas Politiker etwas ratlos zu sein. Bei ihrem
Treffen in Riga setzten die EU-Innenminister auf altbewährte Rezepte
wie Grenzkontrollen, Datensammeln und Überwachung des Internets.

Doch kann mehr Überwachung wirklich für mehr Sicherheit sorgen? Und
wie viel Freiheit bleibt noch, wenn man alles auf die Sicherheit
setzt? Vor dieser schwierigen Debatte steht Europa. «Die Anschläge
haben dem Thema neuen Schwung gegeben», sagt Sergio Carrera vom
Brüsseler Politikinstitut CEPS. Allerdings sieht er die Strategie der
EU kritisch: «Es sind politische Antworten von symbolischer Natur. Es
gibt keinen Beweis dafür, dass Massenüberwachung und großangelegtes
Datensammeln wirklich helfen - aber sicher ist, dass sie unangemessen
sind und die Menschenrechte verletzen.» Der Grünen-Europaabgeordnete
Jan Philipp Albrecht warnt: «Die tragischen Anschläge von Paris
dürfen nicht für Grundrechtseingriffe instrumentalisiert werden.»

Auch wenn EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos ein «ausgewogenes
Vorgehen zwischen Sicherheit einerseits und Offenheit andererseits»
anmahnt, setzt die EU der Freiheit neue Grenzen. So wird die
Reisefreiheit, die als hohes Gut Europas gilt, für radikale
Islamisten in den EU-Ländern beschränkt.

Rund 3000 gewaltbereite Europäer haben sich nach Schätzung des
EU-Anti-Terror-Koordinators Gilles de Kerchove auf den Weg in den
Kampf für den Islamischen Staat in Syrien und dem Irak gemacht. Um
sie am Reisen zu hindern, setzen einige EU-Staaten auf den Entzug des
Reisepasses. Auch Deutschland geht diesen Weg und will künftig auch
den Personalausweis von Verdächtigen einkassieren. Die EU-Kommission
macht es den Staaten leichter mit einer Änderung der Regeln für die
europaweite Fahndungsdatei SIS.

Im Fall der Anschläge in Frankreich hätte dies aber nicht geholfen.
Denn die Attentäter waren keine Syrien-Rückkehrer. «Es ist quasi
unmöglich, einen potenziellen Attentäter aufzuspüren, der zu Hause
radikal wird», sagt ein EU-Diplomat. «Und selbst wenn er nach Syrien
reist: Woher wissen wir, ob er dort als Tourist Freunde besucht oder
Dschihadist werden will?»

Dass die EU auf Bewährtes setzt, zeigt sich auch an dem vier Jahre
alten Vorschlag der EU-Kommission zur Speicherung und zum Austausch
von Fluggastdaten innerhalb der EU (PNR). Fahnder sollen die Namen
von Passagieren bei Flügen nach Europa vorher mit Fahndungslisten
abgleichen können. Bislang blockiert das Europaparlament dies aus
Datenschutzbedenken. Mit den USA gibt es schon ein solches Abkommen.

Viele EU-Abgeordnete haben Zweifel an der Wirksamkeit: «Das Problem
bei der Terrorismusbekämpfung ist nicht ein Mangel an Daten, sondern
der falsche Umgang mit ihnen», sagt die SPD-Europaabgeordnete Birgit
Sippel. Ein PNR-System hätte die Anschläge in Frankreich keinesfalls
verhindert, sind sich Experten sicher. «Die Antwort lautet klar:
Nein. Die Attentäter haben kein Flugzeug genommen - und Frankreich
hat sehr strikte Überwachungsmaßnahmen», sagt Experte Sergio Carrera.


Fragen der Sicherheit sind zudem von jeher strittig. Die Kompetenzen
liegen vor allem bei den EU-Staaten - und nicht in Brüssel. Auf
europäischer Ebene zerstreiten sich Parlament und Staaten über die
Gesetze. Camino Mortera-Martinez vom Centre for European Reform
empfiehlt: «Die EU-Staaten sollten das EU-Parlament als
gleichberechtigten Partner behandeln - und das Parlament sollte seine
manchmal naive Haltung zu Sicherheitsfragen ändern.»

Auch die anlasslose Speicherung der Telefon- und Internetdaten der
Bürger ist wieder im Gespräch. Sie soll Ermittlern bei der Jagd nach
Terroristen helfen. Der Europäische Gerichtshof hatte die Regelung in
der EU 2014 gekippt. Ob es neue Vorgaben geben wird, ist offen.

So oder so - das Thema Terrorkampf bleibt akut. In Riga betonte
EU-Kommissar Avramopoulos, der Terrorismus sei «eine ernste, um sich
greifende Bedrohung». Die Gefahr weiterer Anschläge gilt als hoch.
«Die Frage ist nicht, ob etwas passieren wird, sondern die Frage ist,
wann und wo», sagte Belgiens Innenminister Jan Jambon.