Gabriel: Ohne TTIP droht der Abstieg Von Georg Ismar und Tim Braune, dpa

23.02.2015 16:00

Nur noch 39 Prozent der Bürger sind für das Freihandelsabkommen TTIP
mit den USA. Vizekanzler Gabriel, die EU-Kommission und die
Wirtschaft rühren nun die Werbetrommel - und wollen mit roten Linien
TTIP retten.

Berlin (dpa) - Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat vor
einem Abstieg Europas gewarnt, wenn das Freihandelsabkommen TTIP mit
den USA scheitert. Dann werde Asien das Zepter im Welthandel
übernehmen. «Ich beobachte mit großer Sorge, dass sich Teile der
Öffentlichkeit einmauern in ihren Argumenten», sagte Gabriel am
Montag in Berlin. Dort diskutierten die SPD und die Wirtschaft auf
zwei großen Kongressen über Vor- und Nachteile. Bei den Bürgern
verliert TTIP zunehmend an Rückhalt.

Wie aus einer neuen Emnid-Umfrage für die Verbraucherschützer von
Foodwatch hervorgeht, finden nur noch 39 Prozent der Deutschen die
«Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft» (TTIP)
zwischen Europa und den Vereinigten Staaten gut - im Oktober waren es
48 Prozent, vor einem Jahr 55 Prozent.

In der großen Koalition ist der linke SPD-Flügel besonders kritisch -
in der Umfrage allerdings befürworten 51 Prozent der SPD-Anhänger das
Abkommen. Um die Partei stärker mitzunehmen, organisierten Gabriel
und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nun eine eigene TTIP-Konferenz
im Willy-Brandt-Haus. 

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström begrüßte den Vorschlag von
Gabriel für eine Alternative zu privaten Schiedsgerichten bei den
Freihandelsabkommen. «Ich denke, dass ist eine gute Idee, aber das
kann nicht über Nacht erreicht werden», sagte Malmström in
Berlin. Gabriel und seine sozialdemokratischen EU-Amtskollegen hatten
am Wochenende die Schaffung eines Investitionsgerichtshofs ins Spiel
gebracht.

Das Ändern von Gesetzen soll kein Klagegrund für Konzerne darstellen.
Um Investoren vom Gang vor ein Schiedsgericht abzuschrecken, solle
der Grundsatz gelten «Der Verlierer zahlt», sagte Gabriel. Er
wolle öffentliche Verfahren sowie unabhängige, professionelle Richt
er
haben: «Anwälte als Schiedsrichter wollen wir nicht mehr in
Schiedsgerichten sehen.» Dieses System könnte als «Gold-Standard»
Vorbild für alle neuen Handelsabkommen werden. 

Viele Bürger in Europa fürchten, dass Konzerne vor privaten Gerichten
nationale Gesetze aushebeln könnten und Staaten zu hohem
Schadenersatz verurteilt werden.

Hoffnungen auf einen raschen TTIP-Abschluss teilt Malmström nicht. Es
sei unrealistisch anzunehmen, alle Übersetzungen und Abstimmungen in
den nationalen Parlamenten könnten bis zum Ende der Amtszeit von
US-Präsident Barack Obama Anfang 2017 abgeschlossen sein. Fertig
ausgehandelt ist das EU-Abkommen Ceta mit Kanada. Es gilt als
Blaupause für TTIP. 

Die Wirtschaft pocht auf einen vernünftigen Investitionsschutz. «Für

die deutsche Industrie ist dieses Instrument unverzichtbar, um ihre
Auslandsinvestitionen gegen politische Risiken abzusichern»,
meinte BDI-Präsident Ulrich Grillo. Durch den Wegfall von Zöllen gebe

es großes Sparpotenzial. So zahlten die Autobauer bei Exporten in die
USA pro Jahr eine Milliarde Euro an Zöllen, die Chemieindustrie rund
140 Millionen Euro. DIHK-Präsident Eric Schweitzer sagte, gerade der
Mittelstand werde von TTIP profitieren: «Das ist kein Thema, was
allein Siemens, Daimler oder andere Große betrifft.»