Argentinien: Vorbild oder Schreckgespenst für Griechenland? Von Jürgen Sabel, dpa-AFX

02.07.2015 16:05

Griechenland steht vor einer ungewissen Zukunft. Zuletzt wurden
Vergleiche mit Argentinien gezogen. Wie aber ging die Pleite des
südamerikanischen Staates am Ende aus? Ein argentinischer Ex-Minister
warnt die Griechen scharf.

Frankfurt/Main (dpa) - Was haben Argentinien und Griechenland gemein?
Die zweitgrößte Volkswirtschaft Südamerikas gab im Jahr 2001 die
Bindung des Peso zum US-Dollar auf und bediente ihre Staatsschulden
nicht mehr. Das Land wird von Experten sowohl als Vorbild als auch
als abschreckendes Beispiel für Griechenland beschrieben. Zuletzt
hatte Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz das Vorgehen
Argentiniens als Alternative zu der von der Eurozone und dem IWF
verordneten Sparpolitik empfohlen.

Tatsächlich gibt es Parallelen zwischen beiden Ländern. Schon während

der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 hatte Argentinien große
Schuldenberge aufgehäuft - auch wegen der Rüstungspolitik. Die
Schuldenlast stieg dann in den 1990er Jahren weiter an, und am Ende
des Jahrzehnt war das Land hoffnungslos verschuldet. Es unterwarf
sich dann der Spar- und Reformpolitik des Internationalen
Währungsfonds (IWF). Nach schweren Unruhen in Folge der
Kürzungspolitik wurde Ende 2001 der Schuldendienst ausgesetzt und die
Bindung an den US-Dollar aufgehoben.

Es folgten zwei dramatische Jahre für Argentinien mit einer schweren
Rezession und hoher Inflation. Der frühere argentinische
Wirtschaftsminister Domingo Cavallo warnt daher Griechenland: Das
Land müsse nach einem Euro-Austritt «zwei Jahre durch die Hölle
gehen». Allerdings erholte sich Argentinien nach einer Abwertung des
Peso von rund 70 Prozent relativ rasch von der Krise. Im Gegensatz zu
Griechenland verfügt Argentinien aber über eine relativ starke
Exportwirtschaft, die von der Abwertung profitierte. Gleichzeitig
schossen die Preise von Soja nach oben - dank der steigenden
Nachfrage aus China. Die anziehende Wirtschaft sorgte auch für
steigende Steuereinnahmen.

In Griechenland dürfte vor allem der Tourismus von einer Abwertung
profitieren. Dieser läuft jedoch jetzt schon ordentlich. Zwar könnten
sich mittelfristig neue exportorientierte Unternehmen ansiedeln.
Angesichts der strukturellen Schwächen und der sehr langen
Genehmigungsverfahren ist Griechenland für Unternehmensgründungen
aber wenig attraktiv. Ohne Reformen geht es also auch nach einem
Austritt nicht. Dass die Reformbereitschaft ohne den Druck der
Gläubiger zunimmt, ist nicht unbedingt zu erwarten. «Generell werden
die positiven Folgen einer Abwertung überschätzt», sagt Michael
Heise, Chefvolkswirt der Allianz.

Zudem würden nach einer Aufgabe des Euro die Preise für eingeführte
Produkte aller Voraussicht nach deutlich steigen. Medikamente und
auch einige Lebensmittel könnten unerschwinglich werden. Griechenland
würde hier möglicherweise Hilfe von den übrigen EU-Ländern bekommen
,
während die Europäische Zentralbank (EZB) einen zu starken Einbruch
der neuen Drachme verhindern könnte. Argentinien war hingegen auf
sich allein gestellt.

Eine schwer zu bewältigende Herausforderung wäre für Griechenland die

Einführung einer neuen Währung. Die Aufgabe der Bindung des Pesos an
den Dollar war damals in Argentinien eine vergleichsweise leichte
Aufgabe. Griechenland hingegen müsste ohne Vorbereitung schnell eine
neue Währung in Umlauf bringen. «Die Produktion von neuen Banknoten
wäre für eine Regierung, die nicht einmal eine Grillparty
organisieren kann, keine leichte Aufgabe», sagt Erik Nielsen,
Chefvolkswirt bei der italienischen Großbank UniCredit, überspitzt.
Der Chef des Ifo Instituts, Hans-Werner Sinn, schlägt hingegen die
sofortige Einführung einer neuen elektronischen Währung vor.
Allerdings verfügen vor allem viele ältere Griechen über keine Bank-

und Kreditkarten. Der Anteil von Bargeldzahlungen ist in Griechenland
besonders hoch.

Ein wirtschaftliches Musterland ist Argentinien nicht geworden. Heute
liegen die Inflationsraten zwischen 20 bis 30 Prozent, die Wirtschaft
ist im vergangenen Jahr geschrumpft. Die Notenbank wird von der
Regierung zu einer sehr expansiven Geldpolitik gedrängt.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte das Land im vergangenen
Jahr als «Muster an Unsolidität» bezeichnet.

Tatsächlich leidet Argentinien weiter unter den Spätfolgen der Krise.
Wegen eines juristischen Dauerstreits mit Hedge-Fonds infolge noch
nicht bedienter Kredite wird es für das Land immer schwieriger,
wieder Zugang zu den internationalen Kreditmärkten zu finden. Das
dürfte auch für Griechenland alles andere als einfach werden: Zwar
liegt ein Großteil der griechischen Verbindlichkeiten bei staatlichen
Organisationen, aber immerhin rund 20 Prozent sind noch in der Hand
von privaten Gläubigern. In jedem Fall könnte die verweigerte
Rückzahlung an den IWF Griechenland lange von den Kapitalmärkten
abschneiden.