Deutschland drängt Brüssel zur Verlängerung von Grenzkontrollen Von Werner Herpell, dpa

30.04.2016 15:58

Seit der Schließung der Balkanroute ist der Flüchtlingsandrang nach
Deutschland abgeebbt. Aber bleibt das auch so? Zentrale EU-Länder
wollen die Grenzkontrollen verlängern - mit Deutschland an der
Spitze. CSU-Politiker freuen sich.

Berlin (dpa) - Mit fünf anderen EU-Staaten drängt Deutschland die
Brüsseler Kommission, Grenzkontrollen ab Mitte Mai für weitere sechs
Monate zuzulassen - trotz deutlich gesunkener Flüchtlingszahlen. Für
Bundesinnenminister Thomas de Maizière wäre das ein «klares Zeichen
europäischer Handlungsfähigkeit». Der CDU-Politiker sagte am Samstag

in Berlin, in dem gemeinsamen Brief gehe es darum, «dass die
Kommission dem Rat einen Vorschlag zur Aktivierung des
Krisenmechanismus des Schengener Grenzkodexes vorlegt».

De Maizière sprach von einer weiterhin schwierigen Situation: «Auch
wenn sich die Flüchtlingssituation an den Binnengrenzen entlang der
Westbalkanroute derzeit entspannt hat, blicken wir mit Sorge auf die
Entwicklungen an den Außengrenzen der Union.» Die Mitgliedstaaten
müssten «weiterhin die Möglichkeit haben, Grenzkontrollen an ihren
Binnengrenzen lageabhängig und flexibel dort anwenden zu können, wo
es erforderlich ist».

Noch Anfang April hatte Innenminister de Maizière eine Aufhebung der
Grenzkontrollen angesichts der entspannteren Lage ins Gespräch
gebracht. «Wenn die Zahlen so niedrig bleiben, würden wir über den
12. Mai hinaus keine Verlängerung der Grenzkontrollen durchführen.»
Damit löste er heftigen Protest im CSU-regierten Bayern aus.

Am Samstag hatten zunächst Berliner Regierungskreise einen
«Welt»-Bericht über den Vorstoß der EU-Länder im Kern bestätigt
. Die
Abstimmung des Schreibens werde voraussichtlich am Montagvormittag
abgeschlossen sein. Zu den Initiativ-Ländern gehören neben
Deutschland noch Frankreich, Österreich, Belgien, Dänemark und
Schweden. Die Kommission wolle Mittwoch ihre Entscheidung
bekanntgeben, hieß es am Samstag auf dpa-Anfrage in Brüssel. Wegen
des weiterhin zu erwartenden Flüchtlingszustroms werde grünes Licht
für eine Verlängerung der Grenzkontrollen über den 12. Mai hinaus
erwartet, schrieb die Zeitung unter Berufung auf hohe EU-Diplomaten.

Der Schutz der EU-Außengrenzen in der Flüchtlingskrise darf nach
Worten von Kanzlerin Angela Merkel aber nicht auf Kosten der
Freiheiten im Schengen-Raum gehen. Deswegen sei die EU in einer «ganz
entscheidenden Phase», sagte die CDU-Vorsitzende am Samstag in ihrer
Video-Botschaft in Berlin. Sie habe sich entschieden, «dafür zu
kämpfen, dass wir unsere Außengrenzen schützen können, dass wir den

Raum der Reisefreiheit, der Bewegungsfreiheit, der
Niederlassungsfreiheit behalten». Wichtig sei eine «Teilung der
humanitären Verpflichtungen».

Auch der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, forderte
die 28 Mitgliedsstaaten auf, keine neuen Grenzen hochzuziehen. Er
sagte dem Deutschlandfunk: «Und ich finde, dass wir das auch von
Österreich verlangen können.» Er bezog sich auf die umstrittene
Grenzsicherung an der österreichisch-italienischen Grenze am Brenner.

Der innenpolitische Sprecher der Union im Bundestag, Stephan Mayer
(CSU), lobte «nachdrücklich» den Versuch de Maizières, «gemeinsam
mit
den Innenministern anderer EU-Länder, die derzeit
Binnengrenzkontrollen durchführen, bei der EU-Kommission eine
Verlängerung der Grenzkontrollen bis Ende des Jahres 2016 zu
erreichen». Solange man - gerade angesichts der Bedrohung durch den
islamistischen Terrorismus - nicht lückenlos wisse, wer in die EU
ein- und ausreist, seien Grenzkontrollen «unverzichtbar».

Die CSU in München verlangt, die Kontrollen an der Grenze zu
Österreich in Zusammenarbeit mit der bayerischen Polizei auszubauen
und vorerst bis Ende des Jahres weiterzuführen. Die Partei möchte
erreichen, dass mehr Grenzübergänge mit mehr Personal gründlicher
überwacht werden als bisher. Mit dieser Linie will CSU-Chef Horst
Seehofer in ein für nächstes Wochenende geplantes
Unions-Spitzentreffen mit Merkel gehen.

Auf eine Verfassungsklage gegen die Bundesregierung - an der die CSU
beteiligt ist - würde die Landesregierung dann vorerst verzichten,
ohne diese Option dauerhaft aufzugeben. Sollte es erneut zu einem
sprunghaften Anstieg der Flüchtlingszahlen kommen, will die
CSU-Spitze wieder über eine Klage nachdenken. Die Bundesregierung
solle in Brüssel mehrere Punkte durchsetzen: eine effektive Sicherung
der EU-Außengrenzen, ein zentrales Ein- und Ausreiseregister für die
gesamte EU und ein zentrales europäisches Flüchtlingsregister.