Demonstranten stürmen Parlament in Bagdad - 24 Tote bei Anschlag

30.04.2016 20:57

Eigentlich soll die irakische Regierung die IS-Terrormiliz bekämpfen.
Doch ein heftiger Streit um Reformen blockiert die Politik. In Bagdad
bricht Chaos aus, als Demonstranten das Parlament stürmen.

Bagdad (dpa) - Aufgebrachte irakische Demonstranten haben bei einer
Kundgebung für politische Reformen in Bagdad das hochgesicherte
Regierungsviertel und das Parlament gestürmt. TV-Bilder zeigten am
Samstag, wie Hunderte Anhänger des Schiitenpredigers Muktada al-Sadr
im Abgeordnetenhaus Sprechchöre anstimmten und irakische Fahnen
schwenkten. Auch in den Sitzungssaal drangen sie ein. Iraks
Ministerpräsident Haidar al-Abadi rief die Demonstranten auf,
friedlich zu bleiben und nach Hause zu gehen. Zugleich versicherte
er, die Sicherheitskräfte hätten die Lage in Bagdad unter Kontrolle.

In der sogenannten Grünen Zone liegen neben dem Parlament auch
Ministerien und Botschaften. Kurz zuvor waren bei einem Anschlag der
Terrormiliz Islamischer Staat (IS) östlich von Bagdad mindestens 24
Menschen ums Leben gekommen. Die Armee verstärkte nach eigenen
Angaben die Sicherheitsmaßnahmen und sperrte alle Zufahrtsstraßen in
die Hauptstadt ab. Das Innenministerium dementierte den Einsatz von
Schusswaffen oder anderer Mittel, um die Demonstranten im
Regierungsviertel, der hochgescherten sogenannten grünen Zone,
auseinanderzutreiben. Zuvor hatte die unabhängige irakische
Nachrichtenseite Alsumaria News ohne Nennung von Einzelheiten über
Schüsse und den Einsatz von Tränengas berichtet.

Die Europäische Union äußerte sich beunruhigt über die Entwicklung.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini warnte, die
Demonstrationen könnten die ohnehin schon angespannte Lage weiter
eskalieren lassen. «Es handelt sich offenbar um die absichtliche
Unterbrechung des demokratischen Prozesses», erklärte sie in einer
Mitteilung.

Die Demonstranten protestierten gegen die Verschiebung einer
Abstimmung im Parlament über ein Technokratenkabinett. Seit Monaten
tobt im Irak ein Konflikt um politische Reformen, die der schiitische
Regierungschef Al-Abadi zugesagt hat. Im Parlament kam es mehrfach zu
Tumulten zwischen zerstrittenen Abgeordneten. Die Reformbefürworter
wollen das Proporz- und Klientelsystem abschaffen, das als
Hauptursache für die weit verbreitet Korruption im Irak gilt.

Am Dienstag hatte das Parlament gegen den Protest einer Gruppe von
Abgeordneten die Neubesetzung von mehreren Ministerposten mit
Technokraten abgesegnet. Die Abstimmung über einige Schlüsselressorts
steht jedoch noch aus und wurde am Samstag erneut vertagt.

Regierungschef Al-Abadi steht dabei unter dem Druck mehrerer
Parteien, die ihren Einfluss behalten wollen. Zugleich behindert der
Konflikt den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die
noch immer große Gebiete im Norden und Westens des Iraks beherrscht.

Al-Sadr war nach dem Sturz von Langzeitherrscher Saddam Hussein im
Jahr 2003 bekannt geworden, als seine Mahdi-Armee die US-Truppen mit
Gewalt bekämpfte. In den vergangenen Monaten hat er sich an die
Spitze der Protestbewegung gesetzt, die Reformen fordert.