Der Hass nach dem Brexit - Rassismus-Welle in Großbritannien Von Teresa Dapp, dpa

28.06.2016 12:27

Ein britischer EU-Austritt wird Europa verändern. Großbritannien
selbst hat sich bereits verändert. Der Nationalstolz, auf den das
Brexit-Lager bewusst gesetzt hat, äußert sich in offenem Rassismus.
Und niemand will schuld sein.

London (dpa) - Ein Mann am Postschalter in Bristol, West-England,
kurz nach der Brexit-Abstimmung. Hinter dem Schalter eine Inderin. Er
sagt: «Endlich haben die Briten mal eine gute Entscheidung
getroffen.» Und dann: «Wann gehst Du nach Hause?»

Was die Bloggerin Mel Ciavucco aus Bristol erzählt, ist in diesen
Tagen in Großbritannien kein Extremfall. Auch wenn der EU-Austritt
überhaupt nichts mit Indern in Großbritannien zu tun hat, die meist
einen britischen Pass haben. #PostRefRacism oder #PostBrexitRacism
wird das Phänomen in den Sozialen Netzwerken genannt. Der Rassismus
nach dem Brexit-Referendum also, für das EU-Gegner vor allem mit dem
Thema Einwanderung auf Stimmenfang gegangen waren.

Miqdaad Versi vom Rat der Muslime in Großbritannien hat in den
vergangenen Tagen mehr als 100 Berichte über Fremdenfeindlichkeit
zusammengetragen. «Vorher waren die Täter meist Kämpfer an der
Computertastatur, die ihren fremdenfeindlichen Kampf online
ausgefochten haben. Jetzt tauchen immer mehr Berichte über physische
und verbale Zusammenstöße im echten Leben auf», schreibt er im
«Guardian».

Es trifft nicht nur Menschen, die nicht weiß sind. Es trifft vor
allem auch Polen und damit EU-Einwanderer, die das Brexit-Lager im
Wahlkampf unter anderem als Sozialschmarotzer verteufelt hat. In der
Grafschaft Cambridgeshire ermittelt die Polizei, weil Karten mit der
Aufschrift «Raus aus der EU - kein polnisches Ungeziefer mehr»
aufgetaucht sind. Der polnische Botschafter in London hat sich
bereits eingeschaltet.

Es trifft aber auch Italiener, Finnen, Franzosen. Am Londoner
Flughafen Heathrow sagt ein Rentner grinsend zu einer Deutschen:
«Bald entscheiden wir dann, ob Ihr ein Visum bekommt.» Er meint es
offenbar ernst.

Die Polizei bestätigt, was die Berichte nahelegen. Seit dem
Referendum vom vergangenen Donnerstag seien auf einer Internetseite
für die Anzeige von sogenannter Hasskriminalität 57 Prozent mehr
Vorfälle gemeldet worden als noch vor vier Wochen. Das ist keine
valide nationale Statistik - aber sie alarmiert dennoch. Londons
Bürgermeister Sadiq Khan hat Scotland Yard aufgerufen, besonders
wachsam zu sein.

Die Politiker übertreffen sich darin, von der Hasswelle Abstand zu
nehmen. «Wir werden solche Angriffe nicht dulden», sagt
Premierminister David Cameron, der Einwanderung fast immer als
Problem, selten als Chance beschreibt. «Diese Taten einer
engstirnigen Minderheit werden nicht toleriert werden», sagt Camerons
möglicher Nachfolger, Boris Johnson, der vor dem Referendum als einer
der Lautesten die «Kontrolle über unsere Grenzen» gefordert hatte.

Freiheit von der Fremdbestimmung aus Brüssel, als Nationalstaat
wieder wer sein in der Welt - das hat in Großbritannien viele dazu
bewegt, ihr Kreuzchen bei «Leave the EU» zu setzen, für ein Raus aus

der EU. Längst nicht nur die knapp vier Millionen, die vergangenes
Jahr bei den Parlamentswahlen für die rechtspopulistische Ukip
gestimmt haben. Neu ist die Ablehnung des als fremd Empfundenen auf
der Insel nicht. Aber die Brexit-Kampagne hat sie verstärkt, sichtbar
und in manchen Kreisen wohl auch salonfähig gemacht.

Vielleicht nur vorübergehend? Mark Hamilton, im Rat der britischen
Polizeichefs für das Thema Hasskriminalität zuständig, sagt: So sei
es meistens nach «großen nationalen oder internationalen Ereignissen»

gewesen. Bisher sei die Zahl der Anzeigen dann aber relativ schnell
wieder auf ein normales Niveau gesunken.