Polens Auswanderer nach Brexit-Votum: Deutschland statt England? Von Natalie Skrzypczak, dpa

28.07.2016 11:57

Hunderttausende Polen fürchten nach dem Brexit-Votum, ihre Wahlheimat
Großbritannien verlassen zu müssen. Ein abschreckendes Szenario auch
für diejenigen, die erst noch auswandern wollen. Deutschland wird für
sie immer attraktiver.

Warschau (dpa) - Nach dem Brexit-Votum blicken Hunderttausende in
England lebende Polen in eine ungewisse Zukunft. Beim Besuch von
Großbritanniens Premierministerin Theresa May am Donnerstag in
Warschau sind die Rechte der polnischen Einwanderer Thema. Wie wird
es mit ihnen nach einem Austritt Londons aus der Europäischen Union
(EU) weitergehen?

Was passiert mit den Polen in England?

Solange Großbritannien keine konkreten Pläne für den EU-Austritt
vorlegt, bleibt nach einem Bericht des Polnischen Instituts für
Internationale Beziehungen (PISM) alles beim Alten. Derzeit leben in
England mehr als 850 000 polnische Einwanderer. Sollte die neue
Regierung in London ihre Migrationspolitik verschärfen, könnte bis zu
400 000 von ihnen die Ausweisung drohen. Die Mehrheit der dort
lebenden Polen gibt jedoch jüngsten Umfragen zufolge an, in
Großbritannien bleiben zu wollen - viele davon sogar unbedingt.
Angesichts der unsicheren rechtlichen Situation und wachsenden Angst
vor Anfeindungen seitens der Briten, könnten sich dennoch einige
Polen nach Expertenansicht dazu entschließen, das Land zu verlassen.
In einigen Branchen könnte das zu einem Mangel an Arbeitskräften
führen. Betroffen wäre wohl vor allem der Niedriglohnsektor zum
Beispiel in Hotels und Gaststätten und der Fabriken.

Kehren die Auswanderer dann nach Polen zurück?

Migrationsforscher gehen davon aus, dass nur die wenigsten nach Polen
zurückgehen werden. Die polnische Regierung rechnet mit einer Zahl
von bis zu 150 000. Wegen der vergleichsweise geringen Löhne in ihrer
Heimat könnten viele Polen den Umzug in ein anderes EU-Land
vorziehen. Vor allem Irland käme wegen der Sprache und geografischen
Nähe zu England infrage. Dabei würde eine Rückkehr der Auswanderer
Polens Wirtschaft zugute kommen, die an einer alternden Bevölkerung
und fehlenden Fachkräften leidet. Mit einem speziellen Programm will
die Regierung in Warschau Anreize für Rückkehrer schaffen und ihre
Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt im Ausland für die polnische
Wirtschaft nutzen.

Gehen polnische Auswanderer nun eher nach Deutschland?

Die Sorge der Polen vor dem Brexit war schon vor dem Referendum
spürbar. Im Mai führte Deutschland in einer Umfrage als beliebtestes
Auswanderungsziel der Polen - noch vor England. 34 Prozent der
Befragten gaben an, dort arbeiten zu wollen, wie das Umfrageinstitut
Millward Brown im Auftrag der Vermittlungsfirma Work Service
ermittelte. Nur noch 18 Prozent wollten nach England, damit sank das
Interesse im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um zwölf Prozent. Gründe
sehen die Experten in der Stabilität des deutschen Arbeitsmarktes,
aber auch der Mindestlohn von 8,50 Euro ist ein Anreiz für die
Einwanderer. Außerdem arbeiten Polen in Deutschland inzwischen nicht
mehr nur als Saisonarbeiter bei der Ernte, sondern auch als
qualifizierte Fachkräfte wie Handwerker oder Krankenschwestern. Außer
Deutschland kommen laut Migrationsforschern auch Norwegen und die
Niederlande verstärkt als Ziele in Betracht.