Erdogan rügt EU - Präsident lässt Beleidigungsklagen fallen

30.07.2016 03:33

Der türkische Präsident Erdogan ist schnell beleidigt. Dem Westen und
speziell der EU wirft er mangelnde Solidarität nach dem Putsch vor.
Immerhin: Seine zahlreichen Beleidigungsklagen zieht er zurück.
Profitiert davon auch der deutsche Satiriker Jan Böhmermann?

Istanbul (dpa) - Zwei Wochen nach dem gescheiterten Putsch in der
Türkei hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Kritik aus dem
Ausland am harten Vorgehen der Justiz gegen mutmaßliche Verschwörer
barsch zurückgewiesen. Die Kritiker sollten sich um ihre
Angelegenheiten kümmern, sagte der islamisch-konservative Politiker
am Freitagabend in Ankara. Er kündigte zugleich an, alle seine
Strafanzeigen wegen Beleidigung des Staatspräsidenten zurückzuziehen.


In der Türkei sind nach offiziellen Angaben gut 1800 solcher
Verfahren anhängig, auch gegen eine Reihe von Oppositionspolitikern.
Beobachter werten Erdogans Schritt als Versöhnungsgeste in Richtung
Opposition. Es blieb zunächst unklar, ob das auch für
Beleidigungsanzeigen im Ausland gilt - wie etwa Erdogans Klage gegen
den Satiriker Jan Böhmermann wegen dessen umstrittenen Gedicht
«Schmähkritik». Seinen Kritikern unterstellte er generell, auf der
Seite der Putschisten zu stehen.

Erdogan beklagte sich zudem über mangelnde Anteilnahme und
Solidarität im Ausland nach dem Umsturzversuch. So seien etwa aus der
EU und anderen westlichen Staaten keine Repräsentanten angereist, um
ihr Beileid zu bezeugen, rügte er unter Verweis auf 237 getötete
Zivilisten und loyale Sicherheitskräfte.

Mit Blick auf Türken mit Wohnsitz in Deutschland und Österreich sagte
Erdogan, ihnen werde das Recht zu Protesten verwehrt. Teilweise
dürften sie nicht einmal die türkische Flagge an ihren Häusern
hissen.

Erdogan und die Regierung beschuldigen den in den USA lebenden
Prediger Fethullah Gülen, für den Putschversuch vom 15. Juli
verantwortlich zu sein. Erdogan hatte einen 90-tägigen
Ausnahmezustand verhängt.

Polizei und Justiz gehen seit Tagen massiv gegen mutmaßliche
Verschwörer vor. Bis zum Freitag wurden 18 044 Verdächtige mit
mutmaßlichen Verbindungen zur Bewegung des Predigers Gülen
festgenommen. Gegen 9677 von ihnen erging Haftbefehl.

Der regierungskritische türkische Journalist Can Dündar prangerte den
immens gewachsenen Druck auf die Medien an. «Man kann kaum noch
atmen», sagte der Chefredakteur der Zeitung «Cumhuriyet» in einem
Interview der WDR-Sendung «Aktuelle Stunde». «Es gelten weder Recht,

noch Demokratie oder Menschenrechte.» Die laufende Verhaftungswelle
in Medien, Justiz und Militär nach dem gescheiterten Putsch habe
unter Journalisten eine «allgemeine Atmosphäre des Schweigens und der
Selbstzensur» befördert.

Dündar war im Mai zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt
worden. Er war schuldig befunden worden, geheime Dokumente
veröffentlicht zu haben, die türkische Waffenlieferungen an
Islamisten in Syrien 2015 belegen sollen. Derzeit ist er bis zum
Berufungsprozess auf freiem Fuß.

Die bei dem Umsturzversuch in der Türkei getöteten Putschisten sollen
nun doch nicht auf einem «Friedhof der Verräter» in Istanbul ihre
letzte Ruhestätte finden. Istanbuls Bürgermeister Kadir Topbas
kündigte nach Angaben aus Regierungskreisen an, einen
solchen Friedhof werde es doch nicht geben. Türkische Medien
berichteten, ein im Osten Istanbuls auf einem Feld bereits
aufgestelltes Schild mit der Aufschrift «Verräter-Friedhof» habe
Topbas nach Beratungen mit der Religionsbehörde entfernen lassen.