Hoffnungsschimmer oder nicht? Griechenland, die EU und die Migranten Von Martina Herzog, dpa

28.09.2016 16:51

Seit die EU und die Türkei ihren Flüchtlingspakt geschlossen haben,
kommen weniger Migranten an in Griechenland. Doch die Lage dort ist
weiter schwierig. Die EU-Kommission sieht dennoch Verbesserungen.

Brüssel (dpa) - Für Dimitris Avramopoulos ist das Glas meist halb
voll. Gerade einmal 5651 Flüchtlinge sind binnen eines Jahres aus den
überlasteten Mittelmeerstaaten Griechenland und Italien in andere
europäische Länder umverteilt worden. Doch der griechische
EU-Migrationskommissar lässt sich nicht verdrießen: «Bei dem Tempo

ist es machbar, alle, die dafür in Frage kommen, innerhalb des
nächsten Jahres umzuverteilen», verkündet er am Mittwoch in Brüssel
,
wo er Bilanz in der Flüchtlingskrise zieht.

Bis zu 160 000 Menschen sollten laut EU-Beschluss eigentlich
umverteilt werden. Allerdings gibt es derzeit nach Brüsseler
Berechnungen dafür offenbar gar nicht genug geeignete Kandidaten.
Etwa 30 000 Flüchtlinge kämen dafür in Griechenland in Betracht,
heißt es. Voraussetzung ist, dass sie zu einer Volksgruppe gehören,
deren Asylanträge in den meisten Fällen bewilligt werden. Im
vergangenen Monat waren die Zahlen höher als zuvor - 1200 Menschen
fanden ein neues Gastland.

Aus Athener Perspektive gibt es jedoch wenig Grund für Zuversicht.
Rund 7000 Flüchtlinge könnten «sofort» aus Griechenland in andere
EU-Staaten wechseln, sagte der stellvertretende griechische
Außenminister Nikos Xydakis der Zeitung «Die Welt». «Die meisten
EU-Staaten nehmen uns viel zu wenige Flüchtlinge ab, einige Länder
Antworten nicht einmal auf unsere Anfragen», klagt er.

Immerhin: Der Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei hat die

Zahlen der Migranten, die aus der Türkei in Griechenland ankommen
sinken lassen - «dramatisch», wie Avramopoulos unterstreicht. Doch
weil sich die Bearbeitung der Asylanträge hinzieht, wird die Lage auf
den griechischen Inseln immer angespannter. Dort müssen die Menschen
laut Vereinbarung bleiben, in den Lagern kommt es immer wieder zu
Krawallen.

Xydakis erklärt: «Die Inseln sind für die Flüchtlinge ein Ort, an d
em
sie sich eingesperrt fühlen», sagt er. «Sie sind nicht auf dem
Festland, wo sie bessere Lebensbedingungen, mehr Bewegungsfreiheit
und Schulen für die Kinder hätten.» Die Behörden planten, einige
Migranten auf das Festland zu bringen. Überhaupt brauche sein Land
mehr Unterstützung - eine Forderung, die Avramopoulos ebenso teilt
wie das Flüchtlingshilfswerk UNHCR. «Griechenland braucht
Solidarität», sagt Europa-Bürodirektor Vincent Cochetel.

Menschenrechtler geißeln die Zustände auf das Schärfste. Lange und
gefahrvolle Reisen hätten sie hinter sich, sagt Valerie Ceccherini
vom Norwegischen Flüchtlingsrat auf einer Diskussionsveranstaltung
der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre. «Wenn sie in
Griechenland ankommen, geben sie die Hoffnung auf.» Griechenland gebe
sich Mühe, werde aber von den anderen EU-Staaten zu stark allein
gelassen - es fehle an Rechtsberatern, Übersetzern, Informationen
allgemein.

«Am Ende kommt es doch nur auf den politischen Willen an, die
Situation zu lindern», meint Iverna McGowan von Amnesty
International. Und: «Es gibt keine Flüchtlingskrise in Europa.» Die
überwältigende Mehrheit der syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge näm
lich
finde Obdach in Nachbarländern, in ihrer Heimatregion.

Dass die ungarischen Wähler diese Sichtweise teilen, ist
unwahrscheinlich. Sie sollen am Sonntag über die Umverteilung von
Flüchtlingen per Quote in Europa abstimmen - Beobachter gehen von
klarer Ablehnung aus. In der europäischen Flüchtlingspolitik dürften

weiter tiefe Gräben klaffen.