Ceta-Wettlauf der SPD-Granden: Warum Gabriel ins Rampenlicht drängt Von Sebastian Engel, dpa

22.10.2016 16:47

Schwingt sich EU-Parlamentspräsident Schulz zum Ceta-Retter auf?
Eilig beansprucht Wirtschaftsminister Gabriel seinen Part für sich.
Beide gelten als Anwärter für die SPD-Kanzlerkandidatur.

Berlin/Brüssel (dpa) - In Europa läuten am Freitagabend die
Alarmglocken. Ein Aus für das Ceta-Abkommen wäre das folgenschwerste
Debakel der europäischen Handelspolitik, die Handlungsfähigkeit der
EU steht auf dem Spiel. Am späten Abend dann leichtes Aufatmen.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kündigt an: Die kanadische
Handelsministerin Chrystia Freeland schiebt ihre bereits angekündigte
Abreise noch einmal auf. Zumindest bis Samstagmittag. Vorher werde er
sich mit ihr sowie dem wallonischen Ministerpräsidenten treffen, um
den Gesprächen über das Freihandelsabkommen neues Leben einzuhauchen,
sagt der SPD-Europapolitiker.

Die kleine belgische Region Wallonie blockiert Ceta. Schulz hält die
Verhandlungen nun am Laufen, die Welt blickt auf ihn. Schulz, der
Ceta-Retter? Der Bewahrer der Handlungsfähigkeit Europas?

Im Bundeswirtschaftsministerium will man ihn offenbar nicht allein im
Rampenlicht stehen lassen. Schließlich ist es der Minister und
SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gewesen, der sein politisches Gewicht
für das Abkommen in die Waagschale geworfen hat; der monatelang
rastlos für Ceta gekämpft hat, auch gegen heftigen Widerstand in
seiner Partei.

Aus dem Ministerium hat es zunächst keine öffentliche Reaktion auf
die dramatischen Entwicklungen rund um Ceta gegeben. Als Schulz dann
am Samstagmorgen schon mit Freeland am Tisch sitzt, wird eine
Mitteilung verschickt. Darin heißt es, es sei Gabriel gewesen, der
die kanadische Ministerin in der Nacht dazu bewegen konnte, nicht
gleich abzureisen. Er war es demnach auch, der das Gespräch mit
Schulz vermittelte. Gabriel, der Ceta-Retter?

Der SPD-Vorsitzende ist am Samstagmorgen in Bratislava, wo er an
einer Konferenz der sozialdemokratischen Schwesterpartei Smer-SD
teilnimmt. Eilig bittet das Ministerium zu einem Statement Gabriels
noch in der slowakischen Hauptstadt. Wenig später folgt die Einladung
zu einem zweiten am Nachmittag am Flughafen Braunschweig. Kurzfristig
wird dieses dann nach Goslar, den Wohnort Gabriels, verlegt.

Grund der Geschäftigkeit dürfte auch eine Grätsche von EU-Kommissar
Günther Oettinger sein. Dieser hat Gabriels Last-Minute-Reise nach
Kanada Mitte September kritisiert, bei der der deutsche Minister
weitere Ceta-Zugeständnisse erwirkte. Handelsabkommen müssten Sache
der europäischen Institutionen sein, mahnt Oettinger, sonst sei die
Handlungsfähigkeit der EU bedroht.

Zur Vorgeschichte: Gabriel gehörte im Sommer zu denen, die vehement
eine Beteiligung nationaler Parlamente an der Ceta-Ratifizierung
forderten. Und nun begehrt die Wallonie auf. Gabriel, ein Verursacher
des Ceta-Fiaskos?

Noch aus Bratislava ledert der SPD-Chef zurück und wirft Oettinger
vor, «das technokratische Durchpauken von Handelsverträgen» für
richtig zu halten. Vom Ceta-Kämpfer zum -Totengräber, so will er sich
nicht hinstellen lassen.

Doch über all dem schwebt wohl auch die Debatte über den künftigen
SPD-Kanzlerkandidaten. Neben Olaf Scholz wird auch Schulz immer
wieder als Gabriel-Alternative gehandelt. Einer Umfrage vom Freitag
zufolge liegt Schulz in der Gunst der Deutschen leicht vor dem
SPD-Chef. Auch ein möglicher Grund für Gabriel, sich bei der
Ceta-Rettung mit ins Rampenlicht zu drängt.

Und Schulz? Der betont seine Freundschaft zu Gabriel, zuletzt auf
einer Konferenz von SPD-Linken in Berlin. Dort - unter Ceta- und
Gabriel-Skeptikern - erhält er viel Applaus. Ob er den nach seinem
Ceta-Rettungseinsatz noch immer bekommt? Andererseits könnte ihn
dieser aber auch zu einer dritten Amtszeit im EU-Parlament verhelfen.
Dagegen gab es bislang Widerstand der Konservativen.