Ifo-Chef warnt vor hartem Brexit - Übergangsszenario nötig

23.10.2016 13:13

Die britische Premierministerin May kündigt einen harten EU-Austritt
ihres Landes an. Das setzt nicht nur dem Pfund zu, sondern auch dem
Londoner Aktienmarkt. Der Ökonom und Regierungsberater Fuest plädiert
für mehr Zeit und hofft, dass alle zur Vernunft kommen.

Berlin (dpa) - Der Chef des Münchner ifo-Instituts, Clemens Fuest,
hat vor einem harten EU-Austritt Großbritanniens (Brexit) gewarnt und
für ein Übergangsszenario geworben. «Ich hoffe, dass alle Seiten zur

Vernunft kommen und es zu keinem harten Brexit kommt», sagte er der
Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Der Top-Ökonom warb für eine Übergangsphase nach dem offiziellen
EU-Austritt von möglicherweise bis zu zehn Jahren, damit
Großbritannien nicht plötzlich aus dem europäischen Binnenmarkt
austrete und Zeit bestehe für neue Abkommen. Für die Zeit danach
könnten die langfristigen Beziehungen der Briten mit der EU geklärt
werden: «Das wäre der eleganteste und wohl einzig mögliche Weg.»

Damit stellt sich der ifo-Präsident gegen die bisherigen Linie von
EU-Politikern, wonach Großbritannien nur Zugang zum Binnenmarkt
behalten solle, wenn das Land Freizügigkeit von EU-Bürgern
akzeptiere. Premierministerin Theresa May hatte einen harten Brexit
angekündigt. Sie will die Zuwanderung begrenzen, womit das Vereinigte
Königreich den Zugang zum EU-Binnenmarkt verlöre.

Auch der Chef des britischen Bankenverbands warnte, ein harter Brexit
würde nicht nur Großbritannien, sondern auch der Wirtschaft der
verbleibenden EU-Länder Schaden zufügen. «Handelsbarrieren für
Finanzdienstleistungen im Ärmelkanal zu errichten, wird uns allen
schaden», sagte Anthony Browne von der British Bankers' Association
dem britischen «Observer» (Sonntag). Er rechnet damit, dass wegen des
Regierungskurses in Richtung eines harten Brexits bereits vor
Weihnachten erste Banken Großbritannien teilweise den Rücken kehren.
«Viele kleine Banken planen, die Verlagerungen vor Weihnachten zu
beginnen. Bei den größeren Banken wird damit im ersten Quartal
nächsten Jahres gerechnet.»

Fuest sagte mit Blick auf den Wertverfall der Währung Pfund und des
Londoner Aktienindex, die Finanzmärkte hätten klare Worte gesprochen.
Der Wertverfall bedeute einen starken Wohlstandsverlust für die
Briten. Jetzt gebe es in Großbritannien ein Nachdenken darüber, wie
man «den Schaden begrenzen» könne.

«Eines ist klar: Wenn der Verfall des Pfundes weiter geht, wird die
britische Regierung ihren Kurs nicht halten können», sagte der
ifo-Chef. Schließlich sei den Briten vor dem Votum versprochen
worden, sie könnten den Brexit bekommen und dabei noch Geld sparen:
«Die Bewegung an den Märkten wird die britische Politik
beeinflussen», meinte Fuest, der auch zum Beraterkreis des
Bundesfinanzministeriums gehört.

Natürlich stünden in anderen EU-Staaten Wahlen an. Da mache sich das
Bild gut, die Briten würden jetzt bestraft. «Das ist aber extrem
kontraproduktiv.» Europa sei der schwache Mann der Weltwirtschaft.
«Und in dieser Situation fangen wir an, uns zu streiten», kritisierte
Fuest.