Nervenkrieg um Ceta: EU will Kanada-Gipfel vorerst nicht absagen Von Ansgar Haase, dpa

24.10.2016 20:21

Die EU sträubt sich mit aller Kraft gegen die ganz große
Ceta-Blamage. Spätestens am Donnerstag wird sich zeigen, ob es mehr
als ein Strohhalm war, an den sie sich jetzt klammert.

Brüssel (dpa) - Kann das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen
Ceta in letzter Sekunde gerettet werden? Zumindest die EU-Spitze und
der kanadische Premierminister Justin Trudeau scheinen die Hoffnung
noch nicht aufgegeben zu haben - trotz wenig aufmunternder Signale
von den aufständischen Ceta-Kritikern in Belgien. Fragen und
Antworten zum aktuellen Verhandlungsstand im Überblick:

Eigentlich sollte am Montagabend feststehen, ob Ceta am Donnerstag im
Rahmen eines EU-Kanada-Gipfels unterzeichnet werden kann oder nicht.
Warum gibt es nun immer noch keine Klarheit?

Offensichtlich gibt es immer noch ein Fünkchen Hoffnung, dass die
Ceta-Kritiker in Belgien mit zusätzlichen Garantien davon überzeugt
werden können, ihren Widerstand aufzugeben. Würde dies gelingen,
könnte die belgische Regierung ihre Zustimmung geben und der
Unterzeichnung des Abkommens am kommenden Donnerstag stünde nichts
entgegen. Die EU will nichts unversucht lassen, um sich die riesige
Blamage einer Gipfelabsage zu ersparen.

Kanada erträgt das Ceta-Gezerre in der EU bislang mit Engelsgeduld.
Besteht nicht das Risiko, dass damit bald Schluss ist?

Auf den ersten Blick wäre das verständlich. In dem Abkommen steckt
aber unglaublich viel Arbeit und Kanada verspricht sich von Ceta wie
die EU viele Vorteile. Deswegen ist es unwahrscheinlich, dass eine
Seite die Brocken nur aus Frust hinwirft. Hinter Ceta stehen zudem
alle 28 EU-Regierungen. Sie halten das Abkommen für das
fortschrittlichste und beste, das die EU je ausgehandelt hat.

Wie soll es bis Donnerstag gelingen, die Ceta-Kritiker in Belgien
umzustimmen?

Offen wollte darüber am Montagabend zunächst niemand reden. Der
Regierungschef der besonders Ceta-kritischen Wallonen, Paul Magnette,
hatte etliche Forderungen seiner Region zuletzt aber als erfüllt
angesehen - zum Beispiel, weil Zusatzerklärungen zu Bereichen wie
Umwelt- und Verbraucherschutz noch deutlicher formuliert wurden. Ein
Knackpunkt war aber weiterhin das System zur Beilegung von
Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Staaten.

Die weiter mögliche Absage der für Donnerstag geplanten
Unterzeichnungszeremonie gilt für die EU als hochnotpeinliche
Angelegenheit. Hat niemand das Problem kommen sehen?

Es gab Warnungen, aber offensichtlich hat sie niemand ernst genug
genommen. In Brüssel betrachteten viele Verantwortliche die
Streitigkeiten als innerbelgisches Problem und sahen es als Aufgabe
der Föderalregierung von Charles Michel an, die notwendige Einigkeit
in den Regionen herzustellen.

Muss nun jemand die politische Verantwortung übernehmen?

Letztlich wäre dies wohl am ehesten die Sache von Premierminister
Charles Michel. Er hat es weder geschafft, die Wallonie zu
überzeugen, noch hat er offensichtlich klar genug davor gewarnt, dass
er dem Abkommen gegebenenfalls nicht zustimmen kann.

Auch der EU-Kommission und Mitgliedstaaten wie Deutschland wird immer
wieder einen Mitschuld an dem Debakel gegeben...

Beide Seiten zeigen derzeit gegenseitig mit dem Finger aufeinander.
Die EU-Kommission weist darauf hin, dass sie von Deutschland und
etlichen anderen Staaten gezwungen wurde, Ceta als Vertrag
einzustufen, dem nicht nur das Europaparlament, sondern auch der
Bundestag und andere nationale und regionale Parlamente zustimmen
müssen. Dies führt dazu, dass nun zum Beispiel die Wallonen das
Abkommen blockieren können. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel
wirft der EU-Kommission hingegen eine Präferenz für das
«technokratische Durchpauken von Handelsverträgen» vor. Er
argumentiert, er und andere Mitgliedstaaten hätten damals nur auf die
«Fragen und Kritik ihrer Bevölkerung» reagiert.

Wer hat recht?

Vermutlich haben beide Seiten die Kritik an Freihandelsabkommen wie
Ceta lange nicht ernst genug genommen. Gabriel muss sich zudem
vorwerfen lassen, dass er zuletzt zweigleisig fuhr. Auf der einen
Seite warb er für Ceta, auf der anderen machte er aber Stimmung gegen
das mit den USA geplante Handelsabkommen TTIP. Für Ceta-Kritiker war
das kaum verständlich.