Ein grauer Tag für die EU: Kanada-Gipfel platzt wegen Ceta-Hickhack Von Ansgar Haase, dpa

27.10.2016 18:27

Der verzweifelte Kampf war umsonst. Mit allen Kräften hatte die EU
versucht, die ganz große Blamage doch noch abzuwenden. Doch in der
Nacht stand fest: Die Unterzeichnung des Handelsabkommen Ceta mit
Kanada muss verschoben werden.

Brüssel (dpa) - Kein Ceta, kein Gipfel: Kanada hat seine Ankündigung
wahr gemacht und das für diesen Donnerstag geplante Spitzentreffen
mit der EU verschoben. Dass sich die aufständischen Belgier wenig
später doch noch auf eine gemeinsame Position zu dem umstrittenen
Freihandelsabkommen einigen konnten, half nichts mehr. Das Debakel
für die Europäische Union war perfekt. Fragen und Antworten im
Überblick:

Das Platzen des EU-Kanada-Gipfels ist für die EU eine riesige
Blamage. Ist Ceta damit für ein für alle Mal gestorben?

Auch wenn sich dies viele Gegner wünschen würden: Es sieht nicht
danach aus. Nachdem sich die belgische Politik am Donnerstag doch
noch auf eine gemeinsame Position zu Ceta geeinigt hatte, begannen
EU-Experten sofort damit, die Zusatzwünsche zu prüfen. Bereits am
Abend gab es grünes Licht. Noch in der Nacht zum Samstag soll nun das
notwendige EU-interne Abstimmungsverfahren abgeschlossen sein, danach
könnte theoretisch sofort unterzeichnet werden. Auf der anderen Seite
des Atlantiks ist man dazu nach wie vor bereit.

Was könnte nun an Ceta geändert werden?

Am Abkommen selbst nichts. Allerdings soll es umfangreiche
Zusatzerklärungen mit Klarstellungen und Garantien zu Bereichen wie
Lebensmittelsicherheit und Umweltschutz geben. Zudem soll der
Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) aufgefordert werden, ein
Gutachten zu den umstrittenen Regelungen zur Streitbeilegung zwischen
Unternehmen und Staaten zu erstellen. Er könnte Änderungen verlangen.

Wozu braucht es überhaupt Schiedsgerichte? Könnten nicht ganz normale
Richter entscheiden?

Das ist eine heikle Frage. Befürworter eines Extra-Systems
argumentieren, dass es bei den oft sehr komplizierten Streitfällen
besser ist, wenn die Richter Experten sind. Hinter vorgehaltener Hand
wird zudem der Verdacht geäußert, dass zum Beispiel ein deutscher
Richter bei einem Streit zwischen einem kanadischen Großkonzern und
dem deutschen Staat vielleicht doch nicht ganz unabhängig sein
könnte. Gegen diese Sichtweise gibt es aber natürlich auch
Gegenargumente. Eines lautet, dass jeder Bürger eventuell mit
ähnlichen Problemen kämpfen muss, wenn er sich an ein Gericht wendet.

Das Hickhack in Belgien beschert der EU ein ernsthaftes
Glaubwürdigkeitsproblem. Muss nun jemand die politische Verantwortung
für das Debakel übernehmen?

Letztlich wäre dies wohl am ehesten die Sache des belgischen
Premierministers Charles Michel. Er hat es weder rechtzeitig
geschafft, die Kritiker in der Region Wallonie zu überzeugen, noch
hat er offensichtlich klar genug davor gewarnt, dass er dem Abkommen
gegebenenfalls nicht zustimmen kann. Auch der EU-Kommission und
Mitgliedstaaten wie Deutschland wird immer wieder einen Mitschuld an
dem Debakel gegeben.

Die EU-Kommission weist darauf hin, dass sie von Deutschland und
etlichen anderen Staaten gezwungen wurde, Ceta als Vertrag
einzustufen, dem nicht nur das Europaparlament, sondern auch der
Bundestag und andere nationale und regionale Parlamente zustimmen
müssen. Dies führt dazu, dass zum Beispiel die Wallonen das Abkommen
blockieren konnten. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD)
wirft der EU-Kommission hingegen eine Präferenz für das
«technokratische Durchpauken von Handelsverträgen» vor. Er
argumentiert, er und andere Mitgliedstaaten hätten damals nur auf die
«Fragen und Kritik ihrer Bevölkerung» reagiert.

Wer hat recht?

Vermutlich haben beide Seiten die Kritik an Freihandelsabkommen wie
Ceta lange nicht ernst genug genommen. Gabriel muss sich zudem
vorwerfen lassen, dass er zuletzt zweigleisig fuhr. Auf der einen
Seite warb er für Ceta, auf der anderen machte er aber Stimmung gegen
das mit den USA geplante Handelsabkommen TTIP. Für Ceta-Kritiker war
das kaum verständlich.

Welche Folgen könnten die Verzögerungen haben?

Der EU droht vor allem ein Verlust an Glaubwürdigkeit.
Europapolitiker fordern nun, die Entscheidungsverfahren zu
überdenken. «Entscheidungen werden nicht erst dann demokratisch, wenn
alle Ebenen zustimmen», kommentierte beispielsweise der
CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary am Donnerstag. «Das gilt für die
Städte und Gemeinden, für die Länder, für Deutschland und auch fü
r
Europa.»