Kanada beobachtet Ceta-Gerangel mit Schock und Verblüffung Von Christina Horsten, dpa

28.10.2016 04:45

Wallonie? Von der belgischen Provinz, die das Handelsabkommen Ceta
fast zum Platzen brachte, hatten viele Kanadier zuvor noch nie etwas
gehört. Die Zustimmung zu Ceta in Kanada ist groß - das europäische
Gerangel wird mit Frust und Erstaunen beobachtet.

Ottawa (dpa) - Eigentlich war der Termin lange ausgemacht gewesen. Am
Donnerstag wollte Kanadas Premierminister Justin Trudeau nach Brüssel
reisen, um feierlich das europäisch-kanadische Handelspaket Ceta zu
unterzeichnen. Aber nachdem es trotz jahrelanger Verhandlungen und
tagelangem zähen Ringen kurz vor Schluss auf europäischer Seite noch
immer keine Einigung gab, ging Trudeau die Geduld aus. Anstatt in den
Flieger zu steigen, ließ er die Unterzeichnungszeremonie vorerst
absagen und auf unbestimmte Zeit verschieben.

Mit Überraschung, Schock und fast schon sprachloser Verblüffung hat
Kanada auf das europäische Gerangel und die Blockade der Wallonie in
letzter Minute reagiert. «Handelsexperten, Wirtschaftsforscher,
Unternehmensberater, Regierungsmitarbeiter - sie alle haben in den
vergangenen Tagen die Hände in die Höhe geworfen und gefragt:
«Wallonie»?», schrieb das Magazin «MacLean's». Der Name der Regio
n
klinge «lustig» und sei höchstens Fans europäischer Art House-Filme

wie «Das Versprechen» ein Begriff.

Nach jahrelangen Verhandlungen hatten Kanadas Politiker die
Unterzeichnung des Abkommens als ausgemachte Sache angesehen, die
Blockade erwischte sie kalt. Handelsministerin Chrystia Freeland, die
durch ganz Europa gereist war, um für das Abkommen zu kämpfen, weinte
in Brüssel vor Enttäuschung. «Es scheint offensichtlich, für mich u
nd
für Kanada, dass die Europäische Union derzeit nicht in der Lage ist,
ein internationales Abkommen abzuschließen, selbst mit einem Land,
das so europäische Werte hat wie Kanada, und selbst mit einem Land,
das so freundlich ist und so viel Geduld hat wie Kanada.»

Auf die belgische Einigung am Donnerstag, die eine Unterzeichnung des
Abkommens nun doch möglich macht, reagierte sie über ihren Sprecher
betont reserviert. «Dies ist eine positive Entwicklung, aber es ist
noch Arbeit zu leisten. Bevor unterschrieben werden kann, müssen noch
weitere Schritte unternommen werden. Kanada hat seine Arbeit
geleistet. Kanada bleibt bereit, diese wichtige Vereinbarung zu
unterschreiben, wenn Europa bereit ist.»

Premierminister Trudeau blieb - wie schon in den vergangenen Tagen -
ungewöhnlich stumm. «Wir sind zuversichtlich, dass wir in den
kommenden Tagen ein positives Ergebnis für diesen historischen
Vertrag sehen werden», sagte er dem Parlament am Mittwoch knapp.
Ansonsten kein Wort zu seinen mehr als zwei Millionen Twitter-Fans,
die Brüssel-Reise ließ er über einen Sprecher absagen und sonst lie
ß
er seiner Ministerin Freeland und deren Sprechern den Vortritt.

Trudeau hat den Vertrag stets unterstützt. Die ursprüngliche
Unterzeichnungszeremonie hätte nur kurz nach dem ersten Jahrestag
seiner Wahl stattfinden sollen und war als weiterer Erfolg in der
bisher weitgehend makellosen Bilanz seiner ersten Regierungsmonate
geplant gewesen. Ein Platzen des Vertrags wäre für Trudeau die erste
große Pleite.

Das Thema ist in Kanada allerdings weit weniger schlagzeilenträchtig
als in Europa. Die Medien behandeln es zweitrangig. Umfragen zufolge
unterstützen rund zwei Drittel der Kanadier das Abkommen. Aber auch
in Kanada gibt es Ceta-Gegner - so wie Maude Barlow von der
linksgerichteten Aktivistengruppe Council of Canadians. Sie nannte
den Widerstand der Wallonie einen «großen Sieg».