Brexit-Prozess: Juristische Schlacht im Ringen um den EU-Austritt Von Christoph Meyer, dpa

08.12.2016 18:40

Der Streit entzweit die Briten. Muss die Regierung das Parlament vor
dem EU-Austritt um Zustimmung bitten? Nach vier Tagen Verhandlung vor
dem höchsten Gericht müssen nun die Richter entscheiden. Es geht um
mehr als nur Formalien.

London (dpa) - Die elf Richter des Supreme Court in London
entscheiden in den kommenden Wochen darüber, ob das britische
Parlament ein Mitspracherecht bei der Austrittserklärung des Landes
aus der EU haben muss. Am Donnerstag beendeten sie die Anhörung der
Parteien.

Britische Medien sprachen von einer «juristischen Schlacht» im
Gerichtsgebäude am Londoner Parliament Square. Formal ging es um die
Frage, ob die Regierung das Recht hat, den Austritt aus der
Europäischen Union ohne einen Beschluss des Parlaments zu erklären.
Das Urteil soll Mitte Januar fallen.

Doch das ist nur ein kleiner Teil der Auseinandersetzung, die im
Parlament, in den Medien, in sozialen Netzwerken und teilweise auch
auf der Straße ausgetragen wird. In Wirklichkeit geht es um nichts
weniger als die Frage, wie die Briten ihre Demokratie verstehen. Die
eine Seite hält das Votum der Wähler beim Brexit-Referendum am 23.
Juni über einen EU-Austritt für den ultimativen Ausdruck des
Volkswillens - dem unbedingt Gehorsam geleistet werden muss. Die
andere Seite besteht auf der jahrhundertealten Tradition der
repräsentativen Demokratie und des Minderheitenschutzes.

Zeitgleich zu der Auseinandersetzung im Gerichtssaal rangen am
Mittwoch die Parlamentarier in Westminster um einen Beschlussantrag,
der die Regierung dazu bringen sollte, ihre Brexit-Strategie
parlamentarischer Überprüfung zu unterwerfen. Die weigert sich seit
Monaten, klar zu bekennen, wie sie sich die künftige Beziehung
Großbritanniens zur EU vorstellt. Dagegen formiert sich selbst in der
Regierungsfraktion Widerstand.

Um eine Niederlage bei der Abstimmung zu verhindern, ließ die
Regierung den Antrag um ein Bekenntnis zum Brexit-Zeitplan erweitern.
Premierministerin Theresa May hatte angekündigt, die
Austrittserklärung bis spätestens Ende März nach Brüssel zu senden.

Der Antrag wurde schließlich mit großer Mehrheit aus Regierung und
Opposition angenommen.

Beide Seiten reklamierten anschließend einen Sieg für sich. Die
Opposition, weil sie das vage Versprechen der Regierung erhalten
hatte, deren Brexit-Plan unter die Lupe nehmen zu können. Und die
Regierung, weil sich eine überwältigende Mehrheit der Parlamentarier
dafür aussprach, den Brexit-Zeitplan einzuhalten. Größte Angst der
Regierung war, dass eine Mehrheit - inklusive Abweichler aus der
eigenen Fraktion - den Brexit-Prozess blockieren könnten, sollte das
oberste Gericht dem Parlament ein Mitspracherecht einräumen.

Trotz weitgehender Einigkeit im Parlament stellte die Konservative
Partei nach der Abstimmung die Labour-Abgeordneten, die nicht für
Mays Brexit-Zeitplan votiert hatten, an einen Internet-Pranger. Jeder
einzelne Name erschien auf dem Twitter-Account des Pressestelle der
Konservativen Partei mit dem Zusatz «wird das Ergebnis des
Referendums nicht respektieren - Labour hat den Draht zur normalen
arbeitenden Bevölkerung verloren».

Mehrere Brexit-Gegner hatten zuvor über beleidigende und drohende
E-Mails und Nachrichten im Netz geklagt. Die Richter am High Court,
die in erster Instanz für ein Mitspracherecht des Parlaments bei der
Austrittserklärung gestimmt hatten, waren von einer Zeitung als
«Feinde des Volkes» bezeichnet worden. Vielleicht deshalb versicherte
David Neuberger, der Vorsitzende Richter am Supreme Court, zum Ende
der Verhandlung, das Gericht sei nicht dazu berufen, «das Ergebnis
des Referendums zu kippen». Es gehe ausschließlich um rechtliche
Fragen.