Weber: Keine dauerhaften Grenzkontrollen in Europa Interview: Verena Schmitt-Roschmann, dpa

11.01.2017 05:00

Die Flucht des Berlin-Attentäters Amri durch halb Europa hat Viele
aufgeschreckt. Doch herkömmliche Grenzkontrollen bannen die
Terrorgefahr nicht - meint EVP-Fraktionschef Weber im dpa-Gespräch.

Brüssel (dpa) - Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber ist trotz der
Terrorgefahr gegen eine generelle Wiedereinführung von
Grenzkontrollen in Europa. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur
wirbt der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei für eine
Rückkehr zur Reisefreiheit, sobald die Lage wieder sicherer ist.
Zudem verlangt er eine tiefgreifende Reform der europäischen
Flüchtlingspolitik.

Frage: Herr Weber, Sie plädieren für eine europäische Obergrenze fü
r
Flüchtlinge. Also Abschottung statt Asylrecht?

Antwort: Nein. Europa muss helfen, wenn wir humanitäre Katastrophen
und menschliches Leid sehen wie in Aleppo. Es geht nicht um
Abschottung, sondern um eine vernünftige Gestaltung der Flüchtlings-
und Migrationspolitik. Wir halten es für richtig, dass wir in
Absprache mit dem Herkunftsgebiet und den Vereinten Nationen feste
und begrenzte Kontingente anbieten, wie es etwa Kanada macht. Und die
Menschen, die aus Ländern wie der Türkei, Jordanien oder dem Libanon
nach Europa kommen, müssen wir nach festen humanitären Kriterien
aussuchen. Letztes Jahr kamen vor allem junge Männer nach
Deutschland, Schweden oder Österreich. Nach humanitären Kriterien
müsste man zunächst einmal schauen, wer besonders dringend Hilfe
braucht, etwa alte Menschen, Kinder oder vergewaltigte Frauen. Aber
es gilt auch: Bei einem sehr reichen Kontinent wie Europa mit 500
Millionen Menschen kann das Kontingent nicht nur ein Schein-Angebot
sein. Hilfe ja, aber mit Maß und Ziel.

Frage: Welche Zahl schwebt Ihnen vor?

Antwort: Es geht um die Leistungsfähigkeit des Kontinents. Dazu
müssen die Mitgliedstaaten im Europäischen Rat Vorschläge machen. Das

könnte auch die interne Debatte über die Verteilung der Menschen
voranbringen und die Blockade einiger Staaten wie Ungarn oder Polen
lösen. Man könnte mit einem freiwilligen Vorschlag starten, wie viel
jeder Staat bereit ist aufzunehmen - unter der Voraussetzung, dass
die Außengrenzen gut gesichert sind, dass alle mitmachen und es
ambitionierte Kontingente sind. Mittelfristig brauchen wir allerdings
einen verbindlichen Verteilmechanismus in Europa.

Frage: Ihr Szenario ist recht nahe an den Vorschlägen, die zuletzt
aus Österreich kamen. Unterstützen sie die Pläne aus Wien?

Antwort: Sie gehen in die richtige Richtung. Sie sind nicht
fundamental neu, in Brüssel läuft bereits Gesetzgebung zur Umsiedlung
und fairen Verteilung. Positiv ist, dass nach monatelangem
Stillstand und einer inakzeptablen Blockadesituation nun auch im
Ministerrat Bewegung in die Debatte kommt.

Frage: Neu an den österreichischen Vorschlägen ist, dass Asylanträge

nur noch außerhalb der EU gestellt werden sollen. Tragen Sie das mit?

Antwort: Die Grundidee ist richtig, aber das ist nur da machbar, wo
wir eine Partnerschaft mit unseren Nachbarn haben, wie bei der
Türkei. Anders ist es bei instabilen Ländern wie Libyen, wo wir
steigende Zahlen bei Überfahrten und leider auch zu viele Todesfälle
haben. Das Modell lässt sich heute noch nicht generell machen, ist
aber ein möglicher Ansatz.

Frage: Mit der Flüchtlingskrise kamen auch die Grenzkontrollen, die
Deutschland und Österreich nun praktisch unbefristet weiter führen
wollen. Ist das Schengen-Abkommen tot?

Antwort: Nach den Schengen-Regeln sind temporär Kontrollen möglich.
Das unterstützen wir angesichts der verschärften Sicherheitslage und
des Migrationsdrucks. Andererseits dürfen wir den Terroristen nicht
den Erfolg gönnen, dass wir keine offene Gesellschaft mehr sind. Wenn
sich die Sicherheitslage verbessert hat und die Außengrenzen sicher
sind, dann sollten wir auch zurückkehren zur Reisefreiheit.

Frage: Wird das nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag dauern?

Antwort: Wir müssen beschlossene Anti-Terror-Maßnahmen wie die
Gefährderdatei bei Europol jetzt mit Leben füllen. Dann können wir
schneller zum Schengen-Prinzip zurückkehren - und das bleibt das
Ziel. Die Innenminister sind in der Pflicht zu belegen, warum
Grenzkontrollen erforderlich sind. Es kann keinen Freibrief geben.
Aber die Sicherheitslage muss berücksichtigt werden, weil dies
Grundaufgabe jedes Staats ist.

Frage: Zeigt die Flucht des Berlin-Attentäters Amri durch halb
Europa, dass Schengen nicht mehr zeitgemäß ist?

Antwort: Nein, im Gegenteil: Der Fall Amri zeigt ja gerade, dass wir
moderne Methoden im Anti-Terror-Kampf brauchen. Frankreich hat
derzeit Grenzkontrollen, aber die haben Amri nicht aufhalten können.
Die früheren Methoden der Grenzsicherung bieten keinen
hundertprozentigen Schutz. Nötig ist moderne Technik wie zum Beispiel
automatische Gesichtserkennung und vor allem eine viel bessere
Kooperation zwischen den Behörden europaweit. Wir sollten nicht
glauben, dass Abschotten mehr Sicherheit bringt.

ZUR PERSON: Der CSU-Politiker Manfred Weber (44) ist seit 2014
Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im
Europaparlament, dem er seit 2014 angehört. Zudem ist der Niederbayer
aus Wildenberg stellvertretender CSU-Chef.