IW-Umfrage: Deutsche Wirtschaft blickt gelassen auf den Brexit

11.01.2017 12:49

Alles halb so schlimm mit dem für 2019 anvisierten EU-Austritt
Großbritanniens? So schätzen es die meisten deutschen Unternehmen
derzeit ein. Es ist allerdings eine Gleichung mit vielen Unbekannten.

Brüssel (dpa) - Der drohende Brexit lässt die deutsche Wirtschaft
weitgehend kalt. Neun von zehn Unternehmen erwarten vom angekündigten
EU-Austritt Großbritanniens in nächster Zukunft keine starken
Auswirkungen auf ihre Geschäfte, wie das Institut der deutschen
Wirtschaft (IW) ermittelte. Auch Arbeitnehmer in Deutschland müssen
wegen des Brexits vorerst wohl keinen Jobabbau fürchten.

Das IW hatte 2900 Unternehmen befragt und veröffentlichte die
Ergebnisse am Mittwoch in Brüssel. Die Briten stimmten im Juni 2016
für den Brexit, wollen ihn aber erst bis Ende März offiziell bei der
EU anmelden und zweijährige Verhandlungen beginnen. Die künftigen
Beziehungen und Geschäftsbedingungen sind deshalb kaum abzuschätzen.

Wegen der Unsicherheit unterscheiden sich die Erwartungen der
befragten Firmen zu Auswirkungen auf Investitionen, Beschäftigung und
Produktion für 2017 und 2018 auch kaum, wie IW-Studienautor Jürgen
Matthes sagte. Unter dem Strich gelte aber: «Nur ein winziger Anteil
von zwei bis drei Prozent der Firmen sieht starke negative
Konsequenzen für ihre Investitionen und Beschäftigung.»

Auch die ersten spürbaren Folgen der Brexit-Entscheidung - etwa der
Rückgang der deutschen Exporte nach Großbritannien im dritten Quartal
2016 um acht Prozent - trübt den weitgehend positiven Ausblick kaum,
wie Matthes sagte.

Das IW unterschied bei der Befragung zwischen der Erwartung
«begrenzter» und «starker» Effekte. Immerhin rund 37 Prozent der
befragten Unternehmen befürchten Dämpfer für ihre Exporte durch den
Absturz des britischen Pfunds, allerdings erwarten davon nur 9,9
Prozent einen starken Rückgang und 27 Prozent begrenzte Effekte.

Ihre Personalplanung sehen insgesamt 15,5 Prozent von möglichen
Unsicherheiten im Großbritanniengeschäft berührt - nur 1,5 Prozent
befürchten indes einen starken Einfluss. 15 Prozent sehen begrenzte
Folgen für ihre Produktionsprozesse - etwa wenn sie mit britischen
Partnern zusammenarbeiten -, nur zwei Prozent starke Auswirkungen. 21
Prozent gehen von begrenzten Folgen der Brexit-Verunsicherung auf
ihre Investitionen aus, lediglich 2,8 Prozent von starken.

Ebenfalls fast ein Viertel der befragten Firmen hofft zumindest in
begrenztem Umfang auf Auftrieb, weil Geschäfte aus Großbritannien in
die EU verlagert werden könnten. Gut 18 Prozent können sich
vorstellen, deshalb mehr zu investieren, knapp 15 Prozent halten
positive Jobeffekte im eigenen Unternehmen für möglich.

Aus den Zahlen ergibt sich aus Sicht von IW-Experte Matthes eine
politische Konsequenz: «Ein zentrales Ergebnis ist: Großbritannien
hat weniger Druckmittel in den Brexit-Verhandlungen, als die
Regierung zu erwarten scheint.» Die Erwartung, dass die deutsche
Wirtschaft aus Furcht vor einem harten Brexit auf Zugeständnisse an
London dringe, gehe wohl nicht auf.

Jedoch geht nach seinen Worten eine Mehrzahl der befragten Firmen von
einem «weichen» Brexit aus, also von nicht allzu großen
Handelshemmnissen zwischen der Insel und dem Kontinent nach dem
EU-Austritt. Aussagen der britischen Regierung legen aber nahe, dass
das Vereinigte Königreich künftig keinen Zugang mehr zum
EU-Binnenmarkt haben könnte, weil London die EU-Bedingungen dafür
ablehnt.