«Kriegsspiele» zwischen Serbien und Kosovo - EU schaut hilflos zu Von Thomas Brey, dpa

15.01.2017 12:11

So heftig sind Belgrad und Pristina seit vielen Jahren nicht
aneinandergeraten. Das zeigt: In diesem Dauerkrisenherd ist nichts
gelöst - trotz jahrelanger EU-Vermittlung und Milliardenhilfen.

Belgrad (dpa) - Eigentlich eine Banalität: Fast 20 Jahre nach dem
Bürgerkrieg will Serbien wieder eine Eisenbahnverbindung ins Kosovo
ins Leben rufen. Doch die Details haben es in sich.

Der Personenzug ist in 21 Sprachen mit dem Slogan geschmückt «Kosovo
ist Serbien» - auch in Albanisch. Dazu: Belgrad hat nicht die
Genehmigung der Behörden im Kosovo eingeholt. Denn der Zug soll nur
bis ins nördliche Mitrovica fahren, wo die serbische Minderheit die
lokale Mehrheit bildet. Und wo die fast nur von Albanern gebildete
Kosovo-Regierung nichts zu sagen hat.

Eine blutige Abrechnung zwischen aufgebrachten Kosovo-Serben und
einer Einheit albanischer Spezialpolizisten konnte gerade noch
verhindert werden. Die Polizisten hatten den Zug an der Grenze
gestoppt.

Die serbischen Medien dröhnen am Sonntag von einem soeben
abgewendeten Krieg. Serbiens Regierungschef Aleksandar Vucic gibt
eine «letzte Warnung» an die Albaner und spricht von «Kriegsspielen
».
Er sei enttäuscht von der EU, die seit vielen Jahren weitgehend
vergeblich zwischen den Streithähnen vermittelt. Die sollten sich mal
schön selbst einigen, heißt es am Wochenende ein wenig hilflos in
Brüssel.

Die kleine Episode zeigt, wie schnell sich aus Winzigkeiten eine
Gefahrenlage entwickeln kann. Sie zeigt auch: Die prinzipiellen
Positionen im Kosovo-Konflikt sind weiter unüberbrückbar. Trotz
jahrelanger Vermittlungsbemühungen der EU, trotz Milliarden an
Finanzhilfen, trotz der NATO-geführten KFOR-Schutztruppe und trotz
der größten EU-Auslandsmission EULEX.

Serbien will das fast nur noch von Albanern bewohnte Kosovo, das 2008
abgefallen war und inzwischen von weit mehr als 100 Ländern anerkannt
ist, wieder zurückhaben. Die von Brüssel angebotenen Kompromisse, die
ohnehin nicht umgesetzt wurden, kratzen offensichtlich nur an der
Oberfläche der Probleme.

Dieser Misserfolg schafft jetzt Platz für die Internationalisierung
des Konflikts. Der EU-Kandidat Serbien will sich noch am Sonntag bei
den Großen der Welt beschweren: bei China, zu dem sehr gute
Verbindungen bestehen, und vor allem beim russischen Präsidenten
Wladimir Putin, dem traditionellen serbischen Verbündeten. Russland
versucht seit einigen Jahren stärker denn je, die EU-Politik auf dem
Balkan zu durchkreuzen: Neben Serbien gilt Moskaus Augenmerk Bosnien,
Montenegro und Mazedonien.

Dabei wissen inzwischen alle, dass die Politiker in den Balkanländern
außenpolitische Streitigkeiten vom Zaun brechen, um von ihrem eigenen
Unvermögen abzulenken, die marode Wirtschaft in Schwung zu bringen.
Und damit den miserablen Lebensstandard der Bürger zu heben. Eine
Massenauswanderung der jungen und gut ausgebildeten Menschen ist seit
Jahrzehnten die Folge.

Bitteres Beispiel: Der Personenzug benötigte für die 270 Kilometer
lange Strecke von Belgrad zu seiner Endstation Raska sagenhafte acht
Stunden. Ein Schnitt von unter 35 Stundenkilometern auf der oft
eingleisigen und nicht elektrifizierten Strecke.