Europas Parlamentarier müssen weiter ohne Russen auskommen Von Claudia Kornmeier, dpa
22.01.2017 10:47
Dialog finden alle gut, auch mit Russland und gerne auf europäischer
Ebene - das dafür vorgesehene Gremium werden Russlands Abgeordnete
aber in diesem Jahr zum vierten Mal boykottieren. Denn sie haben dort
derzeit keine Rechte.
Straßburg/Moskau (dpa) - Der Konflikt zwischen Russland und der
Ukraine wird auch in Straßburg ausgetragen. Bevor die
Parlamentarische Versammlung des Europarats im Januar zusammenkommt,
beherrscht ein Thema außerhalb der Tagesordnung die Gespräche auf den
Fluren: Werden die russischen Abgeordneten dieses Jahr zurückkehren?
Die Antwort ist wohl nein. Sie werden die Versammlung der
Staatenorganisation, die die Einhaltung der Menschenrechte
kontrolliert, im nunmehr vierten Jahr boykottieren. Denn ihnen werden
dort Stimmrechte verwehrt. Sie entgehen damit aber auch kritischen
Fragen zum Ukrainekonflikt.
Wegen der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim und der Kämpfe in
der Ostukraine entzog die Versammlung der russischen Delegation
bereits 2014 zahlreiche Rechte. Und zwar die wesentlichen: das Recht,
abzustimmen, in wichtigen Ausschüssen vertreten zu sein und an
Wahlbeobachtungen teilzunehmen. Die Abgeordneten durften also noch
kommen, zuhören und reden - viel mehr aber nicht.
Die Russen blieben daraufhin gleich ganz zu Hause. Anfang 2015
probierten sie noch erfolglos, für das anstehende Jahr ohne
Sanktionen zugelassen zu werden. 2016 ließen sie es gleich bleiben.
Um die Russen für 2017 zur Rückkehr zu bewegen, wurde im Hintergrund
über eine Abschwächung der Sanktionsmöglichkeiten diskutiert. Der
Parlamentspräsident mahnte wiederholt zum Dialog. Von einem
Fernbleiben der russischen Abgeordneten profitiere niemand, sagte
Pedro Agramunt.
«Russland bleibt ein wichtiges Mitglied im Europarat», bekräftigt
auch der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, immer
wieder. Auf Regierungsebene beteilige sich das Land voll und ganz an
allen Arbeiten der Staatenorganisation. Tatsächlich hat Russland -
anders als andere Mitgliedstaaten - seinen Beitrag zum Etat des
Europarats für 2016 bereits vor Ablauf der Frist bezahlt: mit 33
Millionen Euro ist es außerdem eines der zahlungskräftigen Länder.
Das klingt allerdings rosiger, als es ist: Vor einem Jahr hat Moskau
ein Gesetz erlassen, wonach das russische Verfassungsgericht Urteile
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Frage stellen
kann. Und das tut es auch: So soll ein Straßburger Urteil zum
Wahlrecht von Strafgefangenen nur teilweise umgesetzt werden.
Eigentlich hat sich Russland - wie alle Mitgliedstaaten -
völkerrechtlich zu einer vollständigen Umsetzung verpflichtet.
Der Menschenrechtskommissar des Europarats hat im Oktober eine
geplante Reise nach Russland abgesagt, weil ihm die Behörden aus
seiner Sicht «unakzeptable Beschränkungen» auferlegen wollten.
In einer schriftlichen Erklärung fordern 66 Abgeordnete länder- und
fraktionsübergreifend die Versammlung auf, an der strengen Linie
gegenüber den Russen festzuhalten. Für eine Aufhebung der Sanktionen
müsse Russland mindestens das Minsker Friedensabkommen für die
Ostukraine umsetzen, sagt die deutsche Außenpolitikerin Marieluise
Beck von den Grünen. «Die Autorität der Versammlung würde gen null
tendieren, wenn sie nach zwei Jahren nichts mehr mit dem zu tun haben
will, was sie vorher gesagt hat.»
Es ist nicht das erste Mal, dass die russische Delegation
sanktioniert wird und die Plenarsitzungen boykottiert. Wegen des
Tschetschenienkriegs setzte die Versammlung 2000 das Stimmrecht der
Abgeordneten für neun Monate aus. Damals ging sie noch einen Schritt
weiter: Sie empfahl eine Suspendierung der Mitgliedschaft des Landes.
Die Politikwissenschaftlerin Susan Stewart hält das bis heute für den
richtigen Weg. «Ich denke, man sollte Russland aus dem Europarat
ausschließen», sagt die Russland-Expertin. «Ich sehe kein Interesse
auf russischer Seite, den Europarat für das zu nutzen, wofür er
gedacht ist - als Möglichkeit, um mit anderen Staaten
zusammenzuarbeiten und Demokratie und Menschenrechte zu stärken.» Der
Verlust an Glaubwürdigkeit sei für den Europarat zu groß, als dass er
das Verhalten Russlands weiter akzeptieren sollte.
Eines darf man dabei aber nicht vergessen: Ein kompletter Ausschluss
des Landes hätte auch zur Folge, dass russische Bürger nicht mehr vor
dem Menschenrechtsgerichtshof klagen könnten.