Schwerer Korruptionsverdacht bei Bau von Budapester Metrolinie

05.02.2017 15:28

Es war das teuerste EU-Projekt in Ungarn im Haushaltszeitraum 2007
bis 2013. Beim Bau der vierten Budapester Metrolinie dürften aber
Hunderte Millionen Euro «abgezweigt» worden sein. Zumindest legt das
ein Bericht der EU-Antikorruptionsbehörde Olaf nahe.

Budapest (dpa) - Im Zusammenhang mit dem Bau einer neuen Metrolinie
in Budapest hat das EU-Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf) schwere
Vorwürfe erhoben. Bei einer Investitionssumme von 1,7 Milliarden Euro
und EU-Förderungen in Höhe von 700 Millionen Euro würden
EU-finanzierte Ausgaben in Höhe von 296 Millionen Euro unter
Korruptionsverdacht fallen, heißt es in dem Olaf-Bericht, den die
ungarische Regierung am Freitag veröffentlichte. Die Metrolinie mit
einer Länge von 7,4 Kilometern wurde zwischen 2006 und 2014 erbaut.

Die Regierung veröffentlichte den an sich vertraulichen Olaf-Bericht,
nachdem Auszüge in ungarische Medien durchgesickert waren. Mögliche
Betroffene bemühten sich am Wochenende, jegliche strafrechtliche
Verantwortung von sich zu weisen.

Der ehemalige liberale Budapester Oberbürgermeister Gabor Demszky,
der von 1990 bis 2010 regierte, ließ am Sonntag über seinen Anwalt
mitteilen, dass ihn keine juristische, moralische oder politische
Verantwortung treffe. Der Bau der neuen Metrolinie habe einzig und
allein im Kompetenzbereich der als Aktiengesellschaft operierenden
kommunalen Budapester Verkehrsbetriebe (BKV) gelegen.

Der Olaf-Bericht spricht vom Verdacht auf Korruption,
Unregelmäßigkeiten, Betrug und Veruntreuung von EU-Geldern, aus denen
das Vorhaben mitfinanziert wurde. «Die Untersuchungen von Olaf
stellten (...) ernsthafte Unregelmäßigkeiten und Fehler beim
Management sowie mögliche Betrugs- und andere Vergehen fest, die sich
von Anfang an eingestellt hatten und das gesamte Projekt während
seiner Umsetzung begleiteten», heißt es darin.

Die von den Verkehrsbetrieben BKV eingesetzte Projekt-Gesellschaft
DBR-Metro, die den Metrobau operativ leitete, verfügte laut Olaf 
nicht über die nötigen Kapazitäten, um das Vorhaben korrekt
durchzuführen. Bei etlichen Top-Managern bestanden außerdem
Interessenskonflikte, da sie in persönlichen Geschäftsverbindungen zu
einzelnen Vertragspartnern des Projekts gestanden hatten.  

Das Vorhaben mit einem Investitionsvolumen von 1,7 Milliarden Euro
wurde mit 700 Millionen Euro aus dem EU-Kohäsionsfonds unterstützt.
Es handelte sich somit um das teuerste, in Ungarn geförderte
EU-Projekt im Finanzierungszeitraum 2007-2013. Die restlichen
Investitionssummen brachten der ungarische Staat und die
Stadtgemeinde Budapest auf. Die Europäische Investitionsbank (EIB)
stellte den beiden öffentlichen Körperschaften Kredite in Höhe von
530 Millionen Euro zur Verfügung.

Als «Betroffene» nennt der Bericht an erster Stelle die Budapester
Stadtverwaltung und den Lobbyisten und vormaligen sozialistischen
Ministerpräsidenten Peter Medgyessy (2002-2004). Medgyessy bestritt
gegenüber ungarischen Medien, irgendeine strafbare Handlung begangen
zu haben.

Der Olaf-Bericht erwähnt unter anderen auch den deutschen
Siemens-Konzern, der rund 1,4 Millionen Euro an Lobbyisten und an
Sub-Unternehmer mit möglichen Interessenskonflikten bezahlt haben
soll. Siemens war am Metro-Bau mit Stromversorgungssystemen im Wert
von 100 Millionen Euro beteiligt. 

Siemens-Sprecher Alexander Becker sagte: «Die im Bericht aufgeführten
Zahlungen an Dritte, die im Zusammenhang mit den Arbeiten von Siemens
bei der Metrolinie 4 Budapest laut OLAF einen Interessenkonflikt
begründen, stammen aus den Jahren 2006-2007. Wie der OLAF Bericht
feststellt, hat die Siemens AG im Zuge der nunmehr 10 Jahre
zurückliegenden unabhängigen Compliance Untersuchung den
Ermittlungsbehörden die Ergebnisse ihrer internen Untersuchung selbst
zur Verfügung gestellt. Die darauf folgenden staatsanwaltlichen
Ermittlungen in Ungarn wurden allerdings 2013 eingestellt. Seitdem
wurden wir von den Behörden bis heute hierzu nicht mehr kontaktiert.»

Die dem Bericht zugrunde liegenden Vorgänge stammen laut Becker
«sämtlich aus der Zeit vor Einführung des heutigen Siemens Compliance

Systems, wurden bereits vor Jahren intern untersucht und die
Ergebnisse mit den zuständigen Ermittlungsbehörden für deren
Bewertung geteilt».

Die Existenz des Olaf-Berichts, nicht aber seine Einzelheiten waren
der ungarischen Öffentlichkeiten schon länger bekannt. Bereits im
Vormonat hatte die ungarische Staatsanwaltschaft nach einer Anzeige
von Kanzleramtsminister Janos Lazar Ermittlungen wegen des Verdachts
auf Veruntreuung und andere Straftaten eingeleitet. Die EU-Kommission
hatte, wie Lazar damals erklärte, eine von Ungarn zu bezahlende
Strafe von 247 Millionen Euro in Aussicht gestellt.

Vorbereitung und Bau der neuen Budapester Metrolinie M4 fielen zum
überwiegenden Teil in die Zeit der sozialistisch-liberalen
Vorgängerregierung, die damals auch in der Gemeinde Budapest regiert
hatte.