Roland Koch kritisiert etablierte Parteien in Flüchtlingskrise

15.02.2017 04:30

Die Sorge um den Kontrollverlust über die Zustände im eigenen Land
ist für den ehemaligen CDU-Bundesvize Koch die Schlüsselangst der
Menschen in der Flüchtlingskrise. Von den etablierten Parteien
verlangt er klarere Worte.

Frankfurt/Main (dpa/lhe) - Der frühere CDU-Bundesvize Roland Koch hat
der Politik vorgeworfen, zum Beginn der Flüchtlingskrise falsch
kommuniziert zu haben. «Alle etablierten Parteien haben es am Anfang
nicht verstanden, eine Notlage eine Notlage zu nennen und diese Lage
auch als solche zu begreifen», sagte der ehemalige hessische
Ministerpräsident der Deutschen Presse-Agentur in Frankfurt. «Sondern
alle haben den Eindruck erweckt: Das wird die neue Normalität, das
muss man halt hinnehmen und managen, dass so viele Menschen in Zeiten
der Globalisierung von A nach B kommen.»

«In Deutschland und in einigen Nachbarländern ist der Eindruck
entstanden: Es ist einfach Schicksal, dass die Flüchtlinge über die
Grenze kommen und nicht ein geplanter Prozess», erklärte Koch.
«Dieser Eindruck hat uns den Brexit mit eingebrockt.» Bei der
Abstimmung der Briten über den Austritt Großbritanniens aus der EU
hatte die Angst vor weiterer Zuwanderung und die Sorge um die
nationale Souveränität dem Anti-EU-Lager starken Zulauf beschert.

Die Sorge der Menschen, die Kontrolle über die Regeln und
Lebensumstände in ihrer angestammten Heimat zu verlieren, dürfe aber
nicht aus den Augen verloren werden, betonte der frühere
Regierungschef. «Das ist eine Schlüsselangst, die für viele alle
anderen Fragen überdeckt.» Deshalb seien auch Schritte zur sozialen
Stabilität nach innen und Prozesse der Grenzsicherheit nach außen
zwingend erforderlich. «In der Mitte der Gesellschaft stimmen die
meisten Menschen dieser These heute wahrscheinlich zu», erklärte
Koch. «So zu denken hat nichts mit Rechts zu tun.»

Die Bundesregierungen habe zwar bereits Maßnahmen ergriffen, um
gegenzusteuern. «Aber die Entschlossenheit, das zum Dauerzustand zu
machen, die muss so sichtbar und glaubhaft sein, dass die Bürger auch
darauf vertrauen», mahnte der langjährige CDU-Politiker. «Und ich
habe den Eindruck, dass ganz viele Bürger derzeit genau da zweifeln.»
Das erkläre auch den zurückkehrenden Nationalismus in Europa. «In
jedem Staat heißt es dann: Ich schütze mich lieber selbst, denn ich
traue dem anderen nicht, dass er mich schützen kann oder will.»