Litauens Präsidentin: Europa muss mehr Nato-Verantwortung übernehmen Von Alexander Welscher, dpa

15.02.2017 04:55

Für EU und Nato hat der Regierungswechsel in den USA viele Fragen
aufgeworfen. Für Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite gibt
es darauf nur eine Antwort: mehr Eigenverantwortung Europas.

Vilnius (dpa) - Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite spricht
sich für ein stärkeres europäisches Engagement in der Nato und
für
die eigene Sicherheit aus. Europa könne sich in Verteidigungsfragen
nicht mehr alleine auf die USA verlassen. «Europa muss auf sich
selbst vertrauen und mehr Verantwortung auf die eigenen Schultern
nehmen», sagt die Staatschefin des baltischen EU- und Nato-Landes im
Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. 

Frage: Europa konnte sich bislang immer auf die USA verlassen als
letzten Garanten seiner Sicherheit. Wird das auch weiterhin so
bleiben? 

Antwort: Dies ist wahrscheinlich das Vermächtnis der Zeit nach dem
Zweiten Weltkrieg, aber die Zeit vergeht, und Vermächtnis bleibt
Vermächtnis. Mehr und mehr verändern sich die Welt und das
geopolitische Umfeld. Amerika verändert sich, Europa verändert sich,
und wir müssen ein neues Vermächtnis schaffen. Das bedeutet: Europa
muss auf sich selbst vertrauen und mehr Verantwortung auf die
eigenen Schultern nehmen. Wir hoffen, dass immer mehr europäische
Nato-Mitglieder unsere Pflicht ernst nehmen, zuerst uns selbst zu
schützen.

Frage: Braucht Europa eine neue Sicherheitsstrategie oder sogar eine
eigene Armee angesichts der Wahlkampfaussage von US-Präsident Donald
Trump, die Nato sei «obsolet»?

Antwort: Wir müssen alle in der Lage sein, rechtzeitig die
Notwendigkeit zu erkennen, uns und unsere Organisationen zu
reformieren. Dazu gehört auch eine größere Verantwortung für Europa

selbst und für Investitionen in unsere Verteidigung und unsere
gemeinsamen Verteidigungsfähigkeiten. Dabei sollten aber natürlich
keine Doppelstrukturen zur Nato als Organisation aufgebaut werden.
Die Nato ist für uns immer noch wichtig als Garant für unsere
Sicherheit in Europa und in der Welt. Und ich hoffe, dass dieses
Verständnis wie bisher transatlantisch sein wird und niemand es in
Frage stellt.

Frage: Und was ist, wenn dieses Verständnis nicht so sein wird, wie
es war?

Antwort: Wenn nicht? Wenn man sich aus der Welt zurückzieht, wird man
nicht groß bleiben, denn es wird kein Vakuum geben. Jemand anderes
wird stattdessen groß werden.

Frage: Sind Sie besorgt über Trumps Haltung gegenüber Russland oder
fürchten engere Beziehungen zwischen ihm und Putin?

Antwort: Ich denke, wenn es etwas mehr Vertrauen zwischen Amerika und
Russland geben wird, könnte dies zumindest hoffentlich einige
Spannungen zwischen den beiden großen Nationen verringern. Denn ein
Teil der Spannungen beruht auf Vorurteilen - nicht auf realen
Bedrohungen, sondern auf Vorurteilen über Bedrohungen.

Frage: Demnach haben Sie keine Angst, dass die beiden zu einer
Vereinbarung kommen könnten, die die Sicherheit Europas und
insbesondere der baltischen Staaten beeinträchtigen könnte?

Antwort: Nein. Normalerweise reagiere ich nicht auf Erklärungen oder
Worte. Ich möchte Taten bewerten und das, was das eine oder andere
Land tun wird, nicht aber, was sie versprechen oder sagen.

Frage: Wie wird sich die «Amerika zuerst»-Politik der neuen
US-Regierung auf die transatlantischen Beziehungen und Europa
auswirken?

Antwort: Kurzfristig werden wir wohl eher eine isolationistische
Haltung haben, aber in der Geschichte zeigt sich, dass Freihandel
mittel- und langfristig rentabler ist. Wir hatten sehr viel freie und
liberale Handelsregelungen zwischen Europa und in den
transatlantischen Beziehungen, aber heute werden wir wahrscheinlich
in einigen Ländern und Regionen ein begrenzteres Verständnis von
Freihandel sehen. Das ist die Realität, und dieser müssen wir uns
anpassen. 

ZUR PERSON: Dalia Grybauskaite (60) ist seit Juli 2009 Präsidentin
von Litauen. Die frühere EU-Haushaltskommissarin ist das erste
weibliche Staatsoberhaupt des Baltenstaats seit der 1990
wiedererlangten Unabhängigkeit von der damaligen Sowjetunion.