Das Geschacher um die Verschmutzungsrechte Von Verena Schmitt-Roschmann und Claudia Kornmeier, dpa

15.02.2017 14:57

Der Europäische Emissionshandel soll dem Klimaschutz helfen, aber das
System lahmt. Nun soll es reformiert werden. Für Industrie und
Verbraucher kann das erhebliche Folgen haben.

Straßburg (dpa) - Klimaschutz trifft Marktwirtschaft - das klang wie
ein Traumpaar. Als der europäische Emissionshandel 2005 an den Start
ging, schwangen große Erwartungen mit. Die Erfahrung indes ist
ernüchternd. Nun soll eine weitere große Reform den Handel mit
Verschmutzungsrechten endlich in Schwung bringen und die schädlichen
Treibhausgase aus Fabriken und Kraftwerken eindämmen. Das
Europaparlament spricht sich nun für eine Reform aus - allerdings in
der abgeschwächten Variante.

Emissionshandel - was ist das überhaupt?

Die Idee ist einfach: Wenn Firmen für die Verschmutzung der Luft
bezahlen müssen, wird jeder vernünftige Betriebswirt versuchen, das
zu vermeiden. Für jede Tonne ausgestoßenes Kohlendioxid brauchen
Energieversorger und Industrie also ein Zertifikat. Die Gesamtmenge
dieser Verschmutzungsrechte wird von Behörden berechnet und
zugeteilt. Die meisten Industriebranchen bekommen sie unter
bestimmten Bedingungen gratis, während Energieversorger sie auf
Auktionen kaufen müssen. Seit 2012 gibt es den Emissionshandel auch
für den Flugverkehr.

Wozu braucht man das?

Der Emissionshandel - nach dem englischen Namen auch ETS genannt -
soll die Klimaziele der Europäischen Union erreichen helfen: eine
Minderung der Treibhausgase um 20 Prozent bis 2020 und um 40 Prozent
bis 2030, jeweils gemessen am Wert von 1990. Die Branchen, für die
der Emissionshandel gilt, haben eigene Vorgaben. Sie müssen 2030
zusammen um 43 Prozent unter ihrem Ausstoß von 2005 liegen. Das
System wirkt zweifach für den Klimaschutz - zumindest in der Theorie:
Die CO2-Preise sind Anreiz zum Investieren in saubere Technik, denn
wer Verschmutzungszertifikate übrig hat, kann damit handeln. Und
jedes Jahr schrumpft die Menge der ausgegebenen Verschmutzungsrechte.
Weil ein Deckel drauf ist, heißt das System auch «Cap and Trade».

Wieso funktioniert es bisher nicht?

Von Beginn an waren immer zu viele Verschmutzungsrechte auf dem
Markt, so dass sie die meiste Zeit spottbillig waren und das System
keinen Anreiz zu Investitionen gab. Immer wieder wurde nachjustiert,
doch ohne große Wirkung. «Es gibt keinen politischen Willen,
Knappheit entstehen zu lassen», sagt Juliette de Grandpré von der
Umweltstiftung WWF. Experten glauben, dass es sich erst ab einem
Preis von 20 Euro aufwärts pro Tonne Kohlendioxid lohnt, schnell in
grüne Technik zu investieren. Derzeit schwankt der Preis um fünf
Euro, wie der Grünen-Europapolitiker Bas Eickhout sagt. Und selbst
diese Marke werde nur erreicht, weil Spekulanten darauf setzten, dass
die Zertifikate mit der Reform nun doch bald mehr wert werden.

Was soll sich ändern?

Das EU-Parlament hat sich nun für eine stärkere Verknappung der
Emissions-Zertifikate ausgesprochen. Die Abgeordneten folgten dabei
allerdings nicht den Vorschlägen des Umweltausschusses, sondern denen
von EU-Kommission und Wirtschaftsverbänden. Danach sollen die
Verschmutzungsrechte in der Zeit zwischen 2021 und 2030 um jährlich
2,2 Prozent statt zuletzt 1,74 Prozent schrumpfen. Eickhout und seine
Mitstreiter im Umweltausschuss des Europaparlaments hatten 2,4
Prozent vorgeschlagen. Die Reform tritt damit noch nicht in Kraft.
Das Parlament verhandelt nun weiter mit EU-Kommission und Rat über
die endgültige Fassung.

Was ist mit der Idee, Privilegien der Zementindustrie zu streichen?

Der Vorschlag soll weiter geprüft werden. Nach dem Willen des
Umweltausschusses sollte die Zementbranche die Verschmutzungsrechte
nicht mehr gratis bekommen, sondern kaufen müssen. Die Begründung für

die bisher kostenfreie Zuteilung - Nachteile im internationalen
Wettbewerb - gilt aus Sicht der Reformer für diese Branche nicht,
beziehungsweise sie lässt sich mit einem anderen Kniff abwenden,
einer Steuer für Billigimporte.

Ist der Kompromiss im Parlament nun die Lösung?

Die Denkfabrik Agora Energiewende in Berlin war schon hinsichtlich
der Vorschläge des Umweltausschusses skeptisch. Die Pläne «würden d
as
Problem nicht im Ansatz lösen», sagt ihr Energieexperte Matthias
Buck. Es blieben immer noch zu viele Zertifikate im System. Und
letzten Endes muss ein Kompromiss mit den Mitgliedstaaten gefunden
werden, die eine noch mildere Reform wollen. «Eine echte Reform des
ETS bekommen wir wohl erst in fünf Jahren», prognostiziert Buck.

Ist das eigentlich gut oder schlecht für Verbraucher?

Wenn Zementwerke ihre Verschmutzungsrechte kaufen müssten, würde das
zum Beispiel den Bau eines Wohnhauses teurer machen - allerdings nach
Berechnungen der Grünen nur um 0,2 Prozent. Von höheren
Zertifikatepreisen würden dagegen deutsche Stromkunden kaum etwas
spüren, erläutert Buck: Der jetzt sehr niedrige Großhandelspreis fü
r
Strom würde steigen, es würden so aber auch weniger Subventionen über

die sogenannte EEG-Umlage für erneuerbare Energien fällig.