«Da gehöre ich hin»: Wenn Briten nach Brexit-Votum Deutsche werden Von Caroline Bock, dpa

18.02.2017 09:06

Raus aus der EU: Das wollen viele Briten nicht. Nach dem Brexit-Votum
steigt die Zahl der Einbürgerungen in Deutschland. Die neue Heimat
hat Vorteile - auch wenn sich mancher beim Teetrinken mit Freunden
noch umstellen muss.

Berlin (dpa) - Der Brexit kommt: Das war für viele der 106 000 in
Deutschland lebenden Briten ein Schock. Seit dem Referendum im Juni
2016 wollen deutlich mehr Briten einen deutschen Pass haben als
vorher. Damit sichern sie sich die Vorteile eines EU-Bürgers, egal,
wie hart der Ausstieg ihres Heimatlandes aus der EU wird. Bundesweite
Zahlen zu den Einbürgerungen gibt es noch nicht. Aber der Trend ist
klar.

Einige Beispiele aus den Behörden: Im international geprägten
Heidelberg wurden vergangenes Jahr 44 Briten eingebürgert. Im Jahr
davor gab es keinen einzigen Antrag. Im traditionell England
verbundenen Hamburg kletterte die Zahl von 47 auf 124.

In München stellten seit dem Brexit-Votum bis Ende Januar 144 Briten
einen Antrag für die deutsche Staatsbürgerschaft. Das waren fast
sechs mal so viele wie im Vorjahreszeitraum. In Berlin-Mitte wollten
60 Briten Deutsche werden, 2015 waren es noch 7.

Das Deutschland-Bild im Königreich hat sich spätestens seit der
Fußball-WM 2006 deutlich gewandelt. Nazi-Witze sind seltener
geworden. Besonders Berlin gilt bei jungen Briten als cool und
deutlich günstiger als die Insel. Deutsche Weihnachtsmärkte sind ein
Export-Schlager. In London kann man am Stand von «Herman ze German»
Bratwurst essen. Und manche Briten haben Deutschland schon immer
gemocht.

«Ich werde Deutsche»: Wie sich das anfühlt, hat Kate Connolly, die
Berliner Korrespondentin der Zeitung «Guardian» in einem Essay
beschrieben. Ihre Eltern nahmen ihre Entscheidung wenig begeistert
auf: Die Mutter verbarg ihren Kopf hinter einem Sudoku, der Vater
sorgte sich, ob die Kinder dann keinen britischen Pass mehr haben
können.

Und was heißt es eigentlich, britisch zu sein? Connolly sieht das
beim Teetrinken. Etwa, wenn die deutschen Freunde sie fragen, ob sie
eine Tasse Tee möchte und sie vage und höflich antwortet: «Okay, wenn

du gerade einen Tee machst, aber mach dir wegen mir keine Umstände.»
Die Freunde reagieren dann leicht unwirsch: «Ja, willst du jetzt
einen Tee oder nicht?!» Was Heimatgefühle angeht: Nach dem englischen
Nieselregen sehnt sie sich, nach dem Rest weniger.

Der Vertriebsmitarbeiter David Pritchard aus Kent hat sich gerade in
Hamburg einbürgern lassen. Die Entscheidung dazu hatte er schon vor
der Brexit-Abstimmung getroffen. Aber sie wurde dadurch vielleicht
noch etwas beschleunigt, wie er beim Fest im Rathaus erzählt.
Pritchard sieht durch den neuen Pass viele Vorteile. Auch wichtig:
«Ich darf wählen.» An seiner langjährigen Wahlheimat mag der
47-Jährige die Pünktlichkeit und die Deutschen an sich.

Vor dem Pass kommt der Papierkrieg. Wer Staatsbürger werden will,
sollte in der Regel bereits acht Jahre lang mit einer
Aufenthaltserlaubnis in Deutschland gelebt haben. Für ihren
Lebensunterhalt müssen die Antragsteller selbst sorgen können.
Außerdem Pflicht: ein Einbürgerungstest.

Die britische Germanistin Camilla Leathem (Freie Universität Berlin)
fand die Bürokratie «überraschend einfach». Aber trotzdem fieberte

sie, ob all die Unterlagen und Nachweise ausreichten - bis im
Dezember der Bescheid als «Weihnachtsgeschenk» im Briefkasten lag.
Briten müssen immer den großen Pass als Ausweis mitschleppen, jetzt
freut sich Leathem auf den schicken kleinen «Perso».

Der ist für sie nicht nur ein Stück Plastik. Was ihr die deutsche
Staatsbürgerschaft bedeutet? Sie kann sich auch künftig frei zwischen
beiden Ländern bewegen, ohne in einem benachteiligt zu sein. «Ich bin
mit der Freizügigkeit in Europa aufgewachsen», sagt die 31-Jährige.
Diese habe ihr Auslandsjahr nach der Schule geprägt, ihr Studium, die
Promotion, die beruflichen Entscheidungen - und somit auch ihr Leben.


Ihren britischen Pass kann sie behalten, wobei die deutsche
Staatsbürgerschaft für Leathem persönlich ein «Meilenstein» ist.
Seit
dem Abitur sei sie ein riesiger Fan von Deutschland, den Deutschen,
der deutschen Sprache, der deutschen Kultur. Sie habe das Gefühl, «da
gehöre ich hin» - geografisch, aber auch seelisch. Die Urkunde zur
Staatsbürgerschaft mache sie sehr glücklich. Leathem hat das Gefühl,

im Leben angekommen zu sein.