EU will mit Abkommen Abschiebungen nach Afghanistan erleichtern

19.02.2017 15:09

Darf Deutschland nicht anerkannte Asylbewerber aus Afghanistan in
ihre Heimat zurückschicken? In ein Land, in dem der Terror wütet.
Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung sieht das
kritisch. Und die Europäische Union schafft eigene Fakten.

München/Berlin (dpa) - Ungeachtet der Proteste gegen Abschiebungen
nach Afghanistan hat die Europäische Union erstmals ein Abkommen mit
dem Krisenland geschlossen, das solche Maßnahmen erleichtern soll.
Der Vertrag legt unter anderem fest, unter welchen Bedingungen die EU
dem Staat am Hindukusch Unterstützung gewährt. Dazu gehört, dass
Afghanistan bei der Bekämpfung unerwünschter Migration kooperiert.
Auch soll Kabul der Rücknahme abgelehnter Asylbewerber zustimmen. Der
Vertrag wurde am Samstag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz
unterzeichnet. Im Gegenzug für die Kooperation soll Afghanistan von
der EU und den Mitgliedstaaten bis Ende 2020 pro Jahr rund 1,2
Milliarden Euro erhalten.

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler,
hatte zuvor einen Abschiebestopp für abgelehnte Asylbewerber nach
Afghanistan gefordert. Nicht die Lage in Afghanistan habe sich
verändert, sondern die innenpolitische Diskussion in Deutschland,
sagte die SPD-Politikerin der «Passauer Neuen Presse» (Samstag). Dies
dürfe aber nicht auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden.
Vielmehr seien neue Ansätze in der Integrationspolitik gefordert.
«Vor diesem Hintergrund sollten alle Abschiebungen nach Afghanistan
sofort gestoppt werden.»

Kofler ergänzte: «Die Sicherheitslage in Afghanistan mag von Region
zu Region unterschiedlich sein, gut ist sie aber nirgendwo.»

Abschiebungen nach Afghanistan sind umstritten, weil sich in weiten
Teilen des Landes Regierungstruppen und radikalislamische Taliban
bekämpfen. Immer wieder gibt es Anschläge mit vielen Toten. Länder
wie Schleswig-Holstein haben daher einen Abschiebestopp erlassen.

Kanzleramtsminister Peter Altmaier kritisierte das Vorgehen der
Landesregierung in Kiel. «Alleingänge von einzelnen Bundesländern bei

Abschiebestopps halte ich für falsch», sagte der CDU-Politiker der
«Bild am Sonntag». «In Afghanistan gibt es sehr wohl Städte und
Regionen, in denen Rückkehrer in Sicherheit leben können.» Altmaier
ging davon aus, dass die Zahl der Abschiebungen insgesamt in diesem
Jahr weiter zunehmen wird.

Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl protestierte gegen das
Abkommen der EU mit Afghanistan. Ihr Geschäftsführer Günter Burkhardt

nannte es «zynisch, dass ein Kriegs- und Krisengebiet bei einer
sogenannten Sicherheitskonferenz wider alle Fakten als sicher erklärt
wird». Die afghanische Regierung werde unter Druck gesetzt. «Geld und
militärische Unterstützung gegen die Rücknahme von Flüchtlingen - d
as
ist ein unmoralischer Kuhhandel, der das Leben von Schutzsuchenden
gefährdet.»

Der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger kritisierte: «Afghanistan ist
kein sicheres Land, außer vielleicht für die Taliban und mächtige
Warlords. Die EU-Regierungen kaufen sich von ihrer Verantwortung frei
und liefern Asylbewerber notfalls dem Tod aus.»

Nach einem vertraulichen EU-Dokument von 2016 hielten sich zuletzt
rund 80 000 ausreisepflichtige Afghanen in der EU auf. Der
EU-Statistikbehörde Eurostat zufolge wurde zuletzt fast jeder zweite
Asylantrag eines Afghanen in der EU abgelehnt. Die Bundesregierung
hatte mit der Regierung in Kabul im Oktober Rückführungen vereinbart.