Vielleicht legal, aber legitim? Diskussion um Vorwürfe gegen Schulz Von Ansgar Haase, dpa

23.02.2017 16:45

Martin Schulz gerät im Wahlkampf unter Druck. In Brüssel gräbt der
politische Gegner alte Personalentscheidungen aus. Auch die
Betrugsbekämpfer der EU sind hellhörig geworden.

Brüssel (dpa) - Hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz in seiner Zeit
als EU-Parlamentspräsident enge Mitarbeiter begünstigt? Und wenn ja,
wurde dabei gegen Regeln des Parlaments verstoßen? Mit solchen Fragen
beschäftigen sich inzwischen nicht mehr nur die politischen Gegner
des SPD-Hoffnungsträgers. Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung

(Olaf) will nach eigenen Angaben Hinweise prüfen, nach denen es im
Europaparlament unter Schulz zu fragwürdigen Beförderungen und
Prämienzahlungen kam. Im für die SPD ungünstigen Fall könnte das Am
t
danach ein offizielles Ermittlungsverfahren einleiten. Vollkommen
unklar ist, ob dieses dann noch vor dem Wahltermin im September
abgeschlossen werden könnte.

Für Martin Schulz, derzeit im Umfragehoch, ist die ganze Sache
denkbar unangenehm. Der 61-Jährige will im Wahlkampf gegen Kanzlerin
Angela Merkel (CDU) mit dem Thema Gerechtigkeit punkten. Nun muss er
sich fragen lassen, ob es gerecht ist, dass mindestens ein
Mitarbeiter von ihm steuerfreie Zulagen im Höhe von bis 2200 Euro pro
Monat kassierte, während andere im Schnitt nur 500 Euro bekamen.

Ein anderer Fall betrifft den Schulz-Vertrauten Markus Engels. Der
Deutsche wurde 2012 auf Dauerdienstreise nach Berlin geschickt,
obwohl er bereits zuvor in der deutschen Hauptstadt seinen
Lebensmittelpunkt hatte. Für Engels bedeutete diese
Vertragskonstruktion, dass er von einer 16-prozentigen Auslandszulage
und zumindest zeitweise von Tagegeldern profitieren konnte.

«Hier wurden von Anfang an Regeln missbräuchlich und zu Lasten des
Steuerzahlers ausgelegt», kommentiert die Vorsitzende des
Haushaltskontrollausschusses, Inge Gräßle (CDU). Der Ausschuss hat
einen umfangreichen Fragenkatalog an die Parlamentsverwaltung
geschickt, der bis zum 3. März beantwortet werden soll. Die Antworten
könnten für weiteren Ärger sorgen. Neugierig sind die
Haushaltskontrolleure nämlich nicht nur auf Erklärungen zum Thema
Personal, sondern auch auf Antworten zu anderen Aktivitäten ihres
früheren Präsidenten.  So soll die Parlamentsverwaltung unter anderem

aufschreiben, warum bei bestimmten Schulz-Reisen auf Charterflugzeuge
zurückgegriffen werden musste und welche Kosten dafür entstanden.

Hinzu kommt, dass es nicht das erste Mal ist, dass Schulz wegen
seines Umgangs mit Steuergeldern für Schlagzeilen sorgt. Bereits im
Europawahlkampf 2014 hatte er Kritik ausgelöst, weil er erst wenige
Wochen vor dem Wahltermin auf eine tägliche steuerfreie
Tagespauschale in Höhe von rund 300 Euro verzichtete. Unter anderem
ein Verwaltungswissenschaftler äußerte damals die Ansicht, dass dies
nicht in Ordnung gewesen sei, weil Schulz bereits vorher als Bewerber
um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten im Wahlkampf gewesen sei.

Das Tagegeld wird eigentlich gezahlt, um Ausgaben für die
Parlamentsarbeit zu decken. Der Parlamentspräsident hat darauf im
Gegensatz zu anderen Abgeordneten 365 Tage im Jahr Anspruch. Mit
Jahresbezügen in Höhe von mehr als 320 000 Euro im Jahr lag Schulz
Schätzungen zufolge sogar vor Kanzlerin Merkel.

Schulz selbst will sich bislang nicht zu den Vorwürfen äußern. Er
verweist auf die Parlamentsverwaltung, die die jüngsten Vorwürfe Ende
vergangener Woche als haltlos eingestuft hatte. «Das Parlament hat
keine Informationen darüber, dass Mitarbeiter regelwidrig versetzt
oder befördert wurden», teilte die Verwaltung mit. Auch habe Schulz
keine Kompetenzen überschritten, weil er als Parlamentspräsident
einem Mitarbeiter eine Zulage gewährte.

Problematisch dürfte allerdings sein, dass die Befragten womöglich
nicht ganz unparteiisch sind. Wenn sie eingeräumt hätten, dass es
Regelverstöße gegeben haben könnte, hätten sie den Weg für
Ermittlungen gegen die Führung der Parlamentsverwaltung bereitet.
Ohne ihr Mitwirken hätte Schulz die fragwürdigen Entscheidungen
nämlich nicht umsetzen können. Einen Teil der Antworten des
Parlaments könne man eigentlich nur unter dem Stichwort «bewusste
Irreführung» verbuchen, sagt Gräßle.

Am Ende könnte - wie in der Diskussion um die
Steuervermeidungspraktiken internationaler Großkonzerne
(«Lux-Leaks», «Panama-Papers») - vor allem die Frage stehen, ob
alles, was legal ist, auch legitim ist. Schulz' Parteifreund Jens
Geier empfiehlt im aufheizten Wahlkampf eine lösungsorientierte
Herangehensweise. «Wenn die geltenden Regeln eingehalten wurden,
sollte sich der Haushaltskontrollausschuss auf die Frage
konzentrieren, ob diese Regeln geändert werden müssen», sagt der
SPD-Europaabgeordnete. Dies sei kein Untersuchungsausschuss.

Anregungen für Regeländerungen ging das Parlament bislang eher
zögerlich nach. Bereits 2014 hielt die Verwaltung zum Beispiel
schriftlich fest, dass sich durch das Umstellen der Verträge von
Dauerdienstreisenden «beachtliche Einsparungen» erzielen ließen.
Zuletzt waren allerdings noch immer 13 Mitarbeiter auf lukrativen
Langzeitmissionen im Ausland.