Die Akte Schulz: Worum es bei Vorwürfen gegen den SPD-Star geht Von Ansgar Haase, dpa

27.04.2017 16:13

Bei der Wahl zum SPD-Parteivorsitzenden holte Martin Schulz vor
wenigen Wochen ein Traumergebnis von 100 Prozent. An diesem
Donnerstag stand für den Kanzlerkandidaten eine weitaus unangenehmere
Abstimmung an. Schauplatz war seine frühere Wirkungsstätte.

Brüssel (dpa) - Vorwürfe der Vetternwirtschaft schienen an
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bislang abzuperlen. Doch schafft es
der frühere EU-Parlamentspräsident auch in Zukunft, dem unangenehmen
Thema aus dem Weg zu gehen? EU-Betrugsermittler kündigten an diesem
Mittwoch zwar an, dass sie mangels Hinweisen auf Betrug oder andere
Unregelmäßigkeiten zulasten des EU-Haushalts keinen Grund für ein
offizielles Untersuchungsverfahren sehen. Doch es bleibt die Kritik
aus dem Europaparlament, bei der es nicht um die juristischen Aspekte
geht.

Die Abgeordneten stimmten am Donnerstag mehrheitlich dafür,
Beförderungsbeschlüsse und Prämienzahlungen von Schulz infrage zu
stellen. Kann seine «Brüsseler Zeit» den SPD-Star noch in Bedrängni
s
bringen? Die einzelnen Themen im Überblick:

DER FALL ENGELS

2012 schickte Schulz seinen Vertrauten Markus Engels auf
Dauerdienstreise nach Berlin, obwohl dieser bereits zuvor in der
deutschen Hauptstadt seinen Lebensmittelpunkt hatte. Für Engels
bedeutete diese Vertragskonstruktion, dass er von einer
16-prozentigen Auslandzulage und von mehreren Hundert Tagegeldern
profitieren konnte.

Die bisherigen Erklärungen

Nach Darstellung der Parlamentsverwaltung gibt es keinerlei Hinweise,
dass Engels zu Unrecht Zahlungen und andere Leistungen erhielt. Auch
beim Personalauswahlverfahren ging demnach alles mit rechten Dingen
zu.

Die Kritik

Für das Parlament und damit für den Steuerzahler wäre es viel
günstiger gewesen, Engels direkt in Berlin anzustellen. In diesem
Fall hätte er weder Anspruch auf die Auslandszulage noch auf
Tagegelder gehabt. Schulz sieht sich deswegen dem Vorwurf ausgesetzt,
einen Mitarbeiter begünstigt zu haben. Das EU-Parlament moniert einen
«kritikwürdigen Umgang mit Steuergeldern».

HOHE SONDERZULAGEN

Schulz ordnete als Parlamentspräsident an, Mitarbeitern Sonderzulagen
in Höhe von 1300 bis 2200 Euro pro Monat zu zahlen.

Die bisherigen Erklärungen

Nach Darstellung der Parlamentsverwaltung sollte über die höheren
Sonderzulagen eine Benachteiligung der betroffenen Mitarbeiter
verhindert werden. Diese hätten nach dem Eintritt in das Kabinett von
Schulz eigentlich sofort das Anrecht gehabt, eine Gehaltsstufe höher
eingeordnet zu werden. Weil dies erst eineinhalb Jahre später möglich
gewesen sei, habe Schulz die Zahlung der hohen Zulagen veranlasst,
heißt es.

Die Kritik

Die Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses, Inge Gräßle,
argumentiert, dass eine Statutsreform eigentlich eine automatische
Höherstufung von bereits sehr gut entlohnten Mitarbeitern verhindern
sollte. Mit Schulz' Entscheidungen sei diese ausgehebelt worden,
meint die CDU-Politikerin. Normalerweise bekommen Kabinettsmitglieder
lediglich Zulagen zwischen 554 und 786 Euro. Das Parlament stellt nun
mit dem am Donnerstag angenommenen Bericht die Frage nach der
Rechtmäßigkeit von Schulz' Zulagen-Politik.

REGELWIDRIGE BEFÖRDERUNGSBESCHLÜSSE

Schulz ließ es zu, dass ein Mitarbeiter für sich und Kollegen
Beförderungsbeschlüsse formulierte. Mit nach Angaben der
Parlamentsverwaltung regelwidrigen Entscheidungen sollte festgelegt
werden, dass die Mitarbeiter nach ihrem Ausscheiden aus dem Team von
Schulz lukrative Dienstgrade behalten. Schulz hatte die als
Präsidentenbeschluss verfassten Entscheidungen im Oktober 2015
unterschrieben. Sie waren erst von der Parlamentsverwaltung gestoppt
worden.

Die bisherigen Erklärungen

Die Parlamentsverwaltung hat mitgeteilt, dass Schulz nach eigenen
Angaben überzeugt war, dass die Beschlüsse im Einklang mit geltenden
Regeln stehen. Zudem vertritt auch sie die Auffassung, dass die
Mitarbeiter damals Anspruch auf mehr Geld hatten. In der
Parlamentsverwaltung wird gleichzeitig aber eingeräumt, dass der
Versuch, sich eine dauerhafte Höherstufung auf der Karriereleiter zu
sichern, nicht rechtmäßig gewesen sei. Deswegen bekamen die
Mitarbeiter im Dezember 2015 schließlich nur eine deutlich
unattraktivere Beförderung.

Die Kritik

Ist es normal, dass der Parlamentschef Mitarbeiter ihre eigenen
Beförderungen schreiben lässt? Warum lässt er sie nicht zumindest vor

der Unterzeichnung von unabhängiger Seite prüfen? Vor allem wegen der
regelwidrigen Personalentscheidungen muss sich Schulz unangenehme
Fragen gefallen lassen. Das Parlament fordert die aktuelle
Parlamentsspitze nun dazu auf, die regelwidrigen Beschlüsse formal zu
widerrufen.

NUTZUNG VON MITARBEITERN FÜR DEN EU-WAHLKAMPF 2014

Vor drei Jahren wollte Martin Schulz als Spitzenkandidat der
europäischen Sozialdemokraten bei der Europawahl EU-Kommissionschef
werden. Im Wahlkampf handelte er sich den Vorwurf ein, nicht genau
genug zwischen seinem Job als Parlamentspräsident und seinen
persönlichen Ambitionen zu trennen. Im 2016 angenommenen
Entlastungsbericht für die Parlamentsspitze heißt es deswegen: «Das
EU-Parlament (...) bedauert, dass Bedienstete des Parlaments
zumindest indirekt an der Vorbereitung der Kampagne beteiligt waren,
und fordert, dass künftig hiervon Abstand genommen wird.» Zudem
bedauerte es, dass der Präsident das Twitter-Profil der
Präsidentschaft zu seinem persönlichen Profil gemacht und im
Wahlkampf genutzt hat.

DISKUSSION UM DIE ALTERSVERSORGUNG VON EU-ABGEORDNETEN

Nicht Teil der aktuellen Diskussion, aber doch Teil der Brüsseler
Zeit von Schulz ist zudem ein Streit aus dem Jahr 2004. Damals setzte
sich Schulz unter anderem zusammen mit Klaus-Heiner Lehne von der CDU
für ein neues Abgeordnetenstatut ein, das zu einer Verbesserung der
Altersversorgung geführt hätte. Als unter anderem die «Bild»-Zeitun
g
und der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim die Pläne scharf
kritisierten, warf Schulz ihnen eine beispiellose Hetzkampagne sowie
bewusste Falschberichterstattung vor. Das Landgericht Hamburg kam
jedoch zu einer etwas anderen Einschätzung. Es untersagte Schulz, die
Vorwürfe weiter zu verbreiten. Schulz unterzeichnete eine
Unterlassungserklärung und musste laut von Arnim Prozesskosten in
Höhe von rund 16 400 Euro zahlen.

WIE ES WEITERGEHT

Nach der Abstimmung am Donnerstag muss sich nun erneut die
Parlamentsverwaltung mit den Themen befassen und zu den
Handlungsaufforderungen Stellung beziehen. Schulz hat sich bislang
nur sehr knapp zu Vorwürfen geäußert, in seiner Zeit als
Parlamentspräsident (2012-2017) Mitarbeiter begünstigt zu haben. Der
«Bild am Sonntag» sagte er: «Die Mehrheit im Haushaltsausschuss kam
nur zustande, weil Anti-Europäer, Konservative und Grüne sich
zusammengetan haben. Damit muss ich leben.»