Michel Barnier: Europas Mann für den Brexit Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

22.03.2017 18:55

Es wird ernst - die britische Premierministerin Theresa May legt der
Europäischen Union nächste Woche das Scheidungsgesuch des Vereinigten
Königreichs vor. Einer hat sich darauf monatelang minutiös
vorbereitet.

Brüssel (dpa) - Ein halbes Jahr hatte Michel Barnier zum Warmlaufen,
jetzt beginnt der Marathon für den Brexit-Unterhändler der
Europäischen Union. Dabei muss der ehemalige französische Minister
und EU-Kommissar weit hinaus auf unbekanntes Terrain. Erstmals will
ein Staat die Gemeinschaft verlassen, und Barnier soll für die
übrigen 27 Länder im Scheidungsverfahren den besten Deal herausholen.

Es gibt kein Vorbild, keine Erfahrung, kein Muster, es gibt nur einen
Wust von Fallstricken und Interessen. «Das ist kein Business as
Usual, das ist eine außergewöhnliche Situation, und es wird
schwerwiegende Konsequenzen geben», sagt Barnier am
Mittwochnachmittag in Brüssel.

Es sind die ersten öffentlichen Äußerungen seit Monaten zu seinen
Vorbereitungen auf die Verhandlungen mit Großbritannien. Denn
kommende Woche soll es soweit sein: Premierministerin Theresa May
will das Scheidungsgesuch nach Brüssel schicken. Barnier scheint die
Ruhe selbst, aber er macht für die EU eine klare Ansage: «Wir werden
entschieden sein, wir werden freundlich sein, wir werden niemals naiv
sein.»

Genauso silbergrau, kühl und gefasst hatte der Unterhändler schon im
Dezember seinen Plan für die Verhandlungen skizziert: 18 Monate, bis
Herbst 2018 soll er dauern. Erst kommt die Trennung des gemeinsamen
Hausstands, erst danach kann man die künftigen Beziehungen klären.
Und dann die klare Ansage an die Briten: Ein Drittland kann nie
dieselben Vorteile der EU genießen wie ein Mitglied. Paff. «Wir sind
bereit», raunte er schon damals in seinem stark französisch gefärbten

Englisch und kaperte ausgerechnet die berühmte britische
Durchhalteparole: «Keep calm and negotiate.»

Eher aufgescheucht reagierten viele Briten, als
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Franzosen kurz nach
dem Brexit-Votum 2016 zum Unterhändler erkor. Ausgerechnet Barnier,
der elitäre Unternehmersohn, der französische Karrierepolitiker, der
«Eurokrat». «Das ist Junckers Rache an Großbritannien», sagte ein

nicht genannter Banker damals der «Financial Times». «Ich wüsste
nicht, was schlimmer sein könnte.» Von Provokation war die Rede und
sogar von einer Kriegserklärung.

Denn während seiner Zeit als EU-Kommissar ging Barnier der britischen
Finanzbranche gehörig auf die Nerven. Nach einer ersten Amtsperiode
als Kommissar für Regionalpolitik von 1999 bis 2004 kehrte der
Wirtschaftsexperte 2010 mit dem Portfolio Binnenmarkt und
Dienstleistungen in die Brüsseler Machtzentrale zurück. Es war die
Zeit der großen Finanzkrise, und Barnier profilierte sich als
Bankenregulierer. Die City of London erboste er unter anderem mit
einem Vorstoß zur Deckelung von Bonus-Zahlungen.

Mit seinem britischen Widerpart, dem Brexit-Minister David Davis,
soll Barnier eine seit Jahrzehnten kultivierte Abneigung verbinden -
auch wenn beide konservativen Parteien entstammen und ähnlich lange
im Politikbetrieb Karriere machten. Der Franzose, geboren 1951 nahe
Grenoble, begann seine Karriere schon 1976 als Neogaullist in
Savoyen. Vier Mal war er seit 1993 französischer Minister. In Brüssel
absolvierte er zwischen seinen Amtszeiten als Kommissar kurze Etappen
im EU-Parlament und als Vizepräsident der konservativen Europäischen
Volkspartei.

Ideologisch war der Vater dreier Kinder aber nie so festgelegt, dass
ihn nicht auch der Sozialist François Hollande als loyalen
Verbündeten sehen könnte. «In Brüssel hat er einen starken Ruf, er

ist sehr bekannt und verfügt über ein dichtes Netzwerk, das weit über

die Konservativen hinausgeht», bemerkte Hollandes Europaberater
Philippe Léglise-Costa vor einigen Monaten im Magazin der
französischen Zeitung «Le Monde». Tatsächlich zollen ihm im Brüss
el
auch jene Respekt, die ihm politisch nicht besonders nahe stehen.

Sein Netzwerk und seine Erfahrung nutzt Barnier jetzt. Im Dezember
sprachen sich die EU-Staats- und Regierungschefs grundsätzlich dafür
aus, dass Junckers Mann auch im Namen der Mitgliedsstaaten spricht.
Die vergangenen Wochen eilte er kreuz und quer durch Europa, um sich
abzustimmen und mit den 27 bleibenden EU-Ländern die
Verhandlungslinie festzuzurren.

Sein Twitterkonto ist das Logbuch dieser Reisediplomatie. Mal zeigt
er sich mit dem lettischen Regierungschef, mal mit irischen
Abgeordneten, mal mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten
Stephan Weil. Die Botschaft, die er setzen will, ist klar: Hier ist
ein Profi am Werk und ein Mann mit Rückendeckung - Europa zieht an
einem Strang.