Das Pokerspiel um die schottische Unabhängigkeit Von Christoph Meyer, dpa

28.03.2017 18:34

Kurz vor der EU-Austrittserklärung Großbritanniens stimmte das
schottische Parlament für ein Unabhängigkeitsreferendum. Edinburgh
erhöht damit das Tempo im Streit mit Theresa May.

London/Edinburgh (dpa) - Beim Poker ist die Mimik der Mitspieler oft
das wichtigste Indiz dafür, welche Karten sie auf der Hand haben. Als
die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon Anfang März in einem
BBC-Interview gefragt wurde, ob ihre Drohung mit einem erneuten
Unabhängigkeitsreferendum ein Bluff sei, lächelte sie. Wenige Tage
später kündigte sie mit einer Abstimmung im schottischen Parlament
den ersten Schritt für das Referendum an.

Auch bei der Reaktion der britischen Premierministerin Theresa May
darauf ließ sich einiges aus den Gesichtszügen ablesen. «Jetzt ist
nicht die Zeit», sagte May an die schottische Regierungspartei SNP
(Schottische Nationalpartei) gerichtet. Ihr Gesichtsausdruck war
gequält, die Mundwinkel nach unten gezogen. Die Sache schien ihr
Unbehagen zu bereiten.

Nach dem Terroranschlag in London hatte das Duell der beiden
mächtigen Frauen ruhen müssen. Am Dienstagabend - nur einen Tag vor
der EU-Austrittserklärung - stimmte dann das schottische Parlament
für das Unabhängigkeitsreferendum mit 69 zu 59 Stimmen.

Anlass für den schottischen Wunsch nach einem Referendum ist der
harte Brexit-Kurs der Premierministerin. Großbritannien soll nach dem
Willen Mays auch aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion
ausscheiden. Sturgeon, deren Landsleute beim Brexit-Referendum 2016
überwiegend für einen Verbleib in der EU stimmten, lehnt das ab.
Zumindest will sie einen Sonderstatus für Schottland erreichen.

Doch May ist dagegen. Sie bietet der Regierung in Edinburgh lediglich
mehr Kompetenzen an, sobald der Austritt vollzogen ist. Gespräche
zwischen ihr und den Regierungschefs von Schottland, Nordirland und
Wales verliefen bislang ohne nennenswerte Ergebnisse. «Es gab
keinerlei Versuch von der britischen Regierung, einen gemeinsamen
Nenner zu finden», klagte Sturgeon.

Fraglich ist, ob sich die schottische Regierungschefin mit ihrer
Forderung nach einem Unabhängigkeitsreferendum durchsetzen kann. Das
letzte Wort darüber hat das Parlament in London - und ohne das Zutun
der britischen Regierung ist dessen Zustimmung nicht zu bekommen.

Vor allem der Zeitplan ist umstritten. Sturgeon will noch vor dem
voraussichtlichen Austritt aus der EU in zwei Jahren abstimmen
lassen. May will die Sache bis nach 2019, womöglich bis nach der
nächsten Parlamentswahl in Schottland 2021 aussitzen.

Rechtlich stehen Sturgeon keine Zwangsmittel zu Verfügung. Selbst die
Frage, ob das Parlament in Edinburgh ein unverbindliches Referendum
abhalten könnte, ist umstritten. Doch das wäre nur eine Notlösung. Es

ist daher nicht klar, warum Sturgeon sich so weit nach vorne wagt.

Auch ist die Zustimmung der Schotten für eine Unabhängigkeit
keineswegs gewiss. Erst 2014 hatte sich eine Mehrheit von 55 Prozent
der schottischen Wähler gegen eine Loslösung von Großbritannien
entschieden. Die Ausgangslage habe sich nach dem Brexit-Votum
erheblich verändert, argumentiert die schottische Regierung.

Doch bislang zeigen die Umfragen auf eine Mehrheit für den Verbleib
im Vereinigten Königreich. «Nachweislich bringt der Brexit keinen
Umschwung in der öffentlichen Meinung zur Frage nach Schottlands
Unabhängigkeit», stellte der renommierte Politikwissenschaftler John
Curtice von der Universität Strathclyde in Glasgow kürzlich fest.

Möglich also, dass Sturgeon spekuliert: Die Blockadehaltung in London
gegen ein baldiges Referendum könnte ihr genug Wähler in die Arme
treiben, um eine Mehrheit für die Unabhängigkeit zu bekommen.