Pokerspiel um die schottische Unabhängigkeit vertagt Von Christoph Meyer, dpa

22.03.2017 18:41

Schottlands Regierungschefin Sturegon will den Druck im Ringen um ein
Unabhängigkeitsreferendum erhöhen. Doch angesichts der mutmaßlichen
Terroranschläge wurde die Debatte im schottischen Parlament vertagt.

London/Edinburgh (dpa) - Beim Poker ist die Mimik der Mitspieler oft
das wichtigste Indiz dafür, welche Karten sie auf der Hand haben. Als
die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon Anfang März in einem
BBC-Interview gefragt wurde, ob ihre Drohung mit einem erneuten
Unabhängigkeitsreferendum ein Bluff sei, lächelte sie. Wenige Tage
später kündigte sie mit einer Abstimmung im schottischen Parlament in
Edinburgh den ersten Schritt für das Referendum an.

Auch bei der Reaktion der britischen Premierministerin Theresa May
darauf ließ sich einiges an den Gesichtszügen ablesen. «Jetzt ist
nicht die Zeit», sagte May an die schottische Regierungspartei SNP
(Schottische Nationalpartei) gerichtet. Ihr Gesichtsausdruck war
gequält, die Mundwinkel nach unten gezogen. Die Sache schien ihr
Unbehagen zu bereiten.

Am Mittwoch wurde der Machtpoker zunächst vertagt. Nach den
mutmaßlichen Terroranschlägen nahe dem britischen Parlament setzte
das Parlament in Edinburg die geplante Abstimmung über ein erneutes
Unabhängigkeitsreferendum aus. Sturgeon schrieb auf Twitter, ihre
Gedanken seien bei allen Betroffenen im Londoner Regierungsviertel
Westminster und bei den tapferen Rettungskräften.

Das Duell der beiden mächtigen Frauen in London und Edinburgh ist
damit aber nur aufgeschoben. May will einen harten Brexit mit
Ausscheiden aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion.
Sturgeon, deren Landsleute sich beim Brexit-Referendum im vergangenen
Jahr überwiegend für einen Verbleib in der EU ausgesprochen hatten,
will das verhindern. Zumindest will sie einen Sonderstatus für
Schottland erreichen.

Doch das lehnt May ab. Sie bietet der Regierung in Edinburgh
lediglich mehr Kompetenzen an, sobald der Austritt vollzogen ist.
Gespräche zwischen ihr und den Regierungschefs von Schottland,
Nordirland und Wales verliefen bislang ohne nennenswerte Ergebnisse.
«Es gab keinerlei Versuch von der britischen Regierung, einen
gemeinsamen Nenner zu finden», klagt Sturgeon.

Fraglich ist, ob sich die schottische Regierungschefin mit ihrer
Forderung nach einem Unabhängigkeitsreferendum durchsetzen kann. Das
letzte Wort darüber hat das Parlament in London und ohne das Zutun
der britischen Regierung ist dessen Zustimmung nicht zu bekommen. Vor
allem der Zeitplan ist umstritten. Sturgeon will noch vor dem
voraussichtlichen EU-Austritt in zwei Jahren abstimmen lassen. May
will die Sache bis nach 2019, womöglich bis nach der nächsten
Parlamentswahl in Schottland 2021 aussitzen.

Rechtlich stehen Sturgeon keine Zwangsmittel zur Verfügung. Selbst
die Frage, ob das Parlament in Edinburgh ein unverbindliches
Referendum abhalten könnte, ist umstritten. Doch das wäre allenfalls
eine Notlösung. Es ist daher nicht klar, warum Sturgeon sich so weit
nach vorne wagt.

Auch ist die Zustimmung der Schotten für eine Unabhängigkeit
keineswegs gewiss. Erst 2014 hatte sich eine Mehrheit von 55 Prozent
der schottischen Wähler gegen eine Loslösung von Großbritannien
entschieden.

Die Ausgangslage habe sich nach dem Brexit-Votum erheblich verändert,
argumentiert die schottische Regierung. Doch bislang deuten die
Umfragen auf eine Mehrheit für den Verbleib im Vereinigten Königreich
hin. «Nachweislich bringt der Brexit keinen Umschwung in der
öffentlichen Meinung zur Frage nach Schottlands Unabhängigkeit»,
stellte der renommierte Politikwissenschaftler John Curtice von der
Universität Strathclyde in Glasgow kürzlich fest.

Möglich also, dass Sturgeon darauf spekuliert, dass ihr die
Blockadehaltung in London gegen ein baldiges Referendum genug Wähler
in die Arme treibt, um eine Mehrheit für die Unabhängigkeit zu
bekommen.