Litauens Präsidentin sieht EU zum Gründungsjubiläum nicht in Gefahr Von Alexander Welscher, dpa

24.03.2017 05:00

Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite ist überzeugt: Trotz Krisen
ist Europa noch immer die beste Antwort auf eine Geschichte des
Kriegs und der Gewalt. Voll des Lobes ist sie auch für Merkels
Krisenmanagement.

Vilnius (dpa) - 60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge
sieht die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite die EU
trotz vieler Krisen und Herausforderungen nicht im Niedergang. Denn

Europa sei immer in der Lage gewesen, Kompromisse zu finden, sagt die
Staatschefin des baltischen EU- und Nato-Landes im Interview der
Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Was sind aus Ihrer Sicht heute die größten Herausforderungen
für Europa?

Innerhalb Europas haben wir immer noch Risiken mit Blick auf die
politische Stabilität, Wahlen, die wirtschaftlichen Schwierigkeiten
in einigen europäischen Ländern und allgemein die Qualität der
Integration der EU. Dazu kommen natürlich die Ausstrahlungseffekte
der Brexit-Verhandlungen auf einige andere Länder. Externe
Herausforderungen sind herkömmliche und nicht-konventionelle
Bedrohungen aus Russland gegenüber europäischen Ländern. 

Frage: Was genau meinen Sie mit den Bedrohungen aus Russland?

Damit meine ich den Krieg, der weiterhin von den Russen im Osten der

Ukraine organisiert und geführt wird. Und nicht-konventionelle
Bedrohungen aus Russland mittels Propaganda und Informationskriegen
gegen europäische Nationen. Auch haben wir externe Bedrohungen durch
den internationalen Terrorismus und teils auch durch die
Migrationsströme.

Frage: Angesichts dieser Bedrohungen gibt es innerhalb der EU
zunehmende Differenzen zwischen Nord und Süd, Ost und West. Drohen
diese die EU zu zerreißen?

Europa war immer verschiedenen Bedrohungen von außen und von innen
ausgesetzt. Doch bereits seit 60 Jahren ist Europa ungeachtet der
Schwierigkeiten, mit denen es konfrontiert war, immer in der Lage
gewesen, eine Lösung und Kompromisse zu finden, um sie zu bewältigen.
Denn unsere Geschichte war zu schwierig, um zu vergessen, was
passiert ist. Trotz vieler Generationswechsel haben wir immer noch
schmerzliche Erinnerungen daran, warum die europäische Integration
notwendig war.

Frage: Befürchten Sie einen Dominoeffekt nach dem Brexit?

Die britische Position in der EU war immer etwas ganz Besonderes mit
viel weniger Integration bei vielen Politikfeldern und mit vielen
Ausnahmen. Aus dieser Perspektive glaube ich nicht, dass es viel
Einfluss auf die Substanz unserer Integration haben wird. Politisch
aber könnten einige Ausstrahlungseffekte ausgenutzt werden. Doch auch
hier geht es darum, wie wir damit umgehen. 

Frage: Wie sehen Sie aus litauischer Sicht die aktuelle Rolle
Deutschlands und von Bundeskanzlerin Merkel in Europa?

Deutschlands Position ist - genauso wie diejenige von Frankreich und
anderen großen Nationen - sehr wichtig. Dies gilt insbesondere nach
dem künftigen Rückzug Großbritanniens aus der EU. Ich glaube, dass
die Geschichte und die jüngsten Jahre, wie die Kanzlerin die
wirtschaftlichen und politischen Schwierigkeiten in Europa angepackt
hat, das beste Beispiel für eine sehr verantwortungsvolle Politik in
Europa waren. 

Frage: In anderen europäischen Ländern und auch Deutschland wird
dies teils anders gesehen.

Die Verantwortung speziell der fähigeren Länder ist in der Regel
größer. Dies wurde von Bundeskanzlerin Merkel sehr verstanden. Mit
ihrer Position und ihrer Geduld in dieser Situation konnte sie nicht
nur die wirtschaftlichen und politischen Interessen Deutschlands,
sondern auch die wirtschaftlichen und politischen Interessen Europas
als Ganzes unter einen Hut bringen. Was auch immer in der nächsten
Zukunft in Europa passieren wird, ihr Vermächtnis wird bei Europa
bleiben.

ZUR PERSON: Dalia Grybauskaite (61) ist seit Juli 2009 Präsidentin
von Litauen. Die frühere EU-Haushaltskommissarin ist das erste
weibliche Staatsoberhaupt des Baltenstaats seit der 1990
wiedererlangten Unabhängigkeit von der damaligen Sowjetunion.