Kostenloses EU-Roaming und dann? - Mobilfunkmarkt im Umbruch Von Peter Lessmann, dpa

24.03.2017 05:30

Der Mobilfunkmarkt gilt längst als gesättigt. Wurde der Kampf um
Marktanteile lange Zeit über aggressive Preisattacken geführt, kommt
die Talfahrt allmählich ans Ende. Ob der Wegfall der Gebühren fürs
Surfen durch fremde EU-Netze Kunden entlastet, ist fraglich.

Bonn (dpa) - Wer auf dem deutschen Mobilfunkmarkt nach attraktiven
und vergleichbaren Preisangeboten Ausschau hält, muss angesichts des
Tarif-Wirrwarrs verzweifeln. Es gibt praktisch kein Massengut auf dem
deutschen Markt, das annäherend solche Leistungs- und
Preisunterschiede enthält wie ein Handyvertrag.

Volumentarife oder Flatrates, mit oder ohne SMS, Datenautomatik oder
Drosseltarif, mobiles TV, Kurz- oder Langzeitverträge, Prepaid oder
Postpaid - die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Intransparenz und
Tarifvielfalt nutzt die Branche offenbar als Hebel, um auf
gesättigten Märkten Erlösquellen zu sichern. Dabei wäre in
Deutschland noch Luft nach unten: Im europäischen Vergleich gelten
die Mobilfunkpreise, vor allem bei den angebotenen Datenvolumen,
immer noch als sehr hoch.

Am 15. Juni kommt eine weitere Ungewissheit hinzu. Es ist eine Zäsur
in der Entwicklung des Mobilfunks: Das umstrittene EU-Roaming wird an
dem Tag kostenfrei. Es geht um jene Gebühren, die anfallen, wenn
Mobilfunkkunden im EU-Ausland zum Handy greifen. Zum Ärger von
Verbraucherschützern und Regulierern hielten die Roaming-Kosten die
Tarife lange Zeit hoch und sorgten dafür, dass die Anbieter sich eine
goldene Nase verdienten.

Nun soll EU-Reisenden kein Eurocent extra mehr fürs Herumwandern
durch fremde Netze aus der Tasche gezogen werden. Zwar müssen auch
künftig Roaming-Kosten bezahlt werden, aber es sind nicht mehr die
Endkunden, die zur Kasse gebeten werden - im Prinzip jedenfalls. Doch
die Frage ist, welche Auswirkungen hat der Wegfall der Gebühren?

«Es ist völlig unklar, was nach dem 15. Juni passiert», analysiert
Susanne Blohm, Referentin für Digitales und Medien bei der
Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin. Andere wie das
Vergleichsportal Verivox sehen bereits eine Preiswende am
Mobilfunk-Himmel heraufziehen. Verbraucher würden für eine Leistung
bezahlen, die eigentlich kostenfrei sei, unterstreicht Christian
Schiele, Produktchef Telekommunikation bei Verivox.

Anbieter wie Telekom und Telefónica hatten bereits vor längerer Zeit
ihre Tarife angepasst und EU-Roaming als Inklusivleistung ins
Programm genommen. Dafür wurde der Preis leicht nach oben angepasst.
Entfallen nun die Roaminggebühren, kommt es zu einer indirekten
Preiserhöhung. Es sei denn, die Unternehmen rechnen die Kosten wieder
heraus.

Der Kostenfaktor Roaming, argumentiert Verivox, werde nun aufs Inland
verlagert und in die Handytarife eingepreist. Folge: Nichtreisende
und Geringverdienende zahlten am Ende die Zeche. Einige Discounter
wie Billigmarken bei Drillisch sind bereits dazu übergegangen, rein
nationale Tarifmodelle zu entwickeln, die eine Auslandsnutzung
ausschließen.

Die Marktriesen um Telefónica, Deutsche Telekom und Vodafone bleiben
gelassen. «Die betroffenen Bestandskunden in Altverträgen werden
keinen zusätzlich Aufpreis mehr bezahlen müssen», verspricht
Vodafone-Sprecher Thorsten Hoepken. In den Standardtarifen sei das
EU-Roaming schon inbegriffen, was auch für Telekom und Telefónica
zutrifft. Für die meisten Kunden, so schätzt ein Telekom-Sprecher,
ergäben sich deshalb ohnehin keine Änderungen.

Arbeit kommt auf jeden Fall auf Mobilfunker zu, die sich mit
Netzkapazitäten bei den großen Betreibern eingedeckt haben. Sie
müssen bei der Rechnungstellung ihre Tarife anpassen. «Die Kunden
werden von uns rechtzeitig per Mail oder SMS informiert», versichert
ein Freenet-Sprecher. Mit 12 Millionen Kunden gehören die
Norddeutschen zu den größten netzunabhängigen Betreibern.

Dass das kostenlose Roaming in der EU die Mobilfunkpreise einebnen
wird, steht nicht zu erwarten. Zu unterschiedlich ist das Preisniveau
in den Mitgliedsländern. Zugleich verschlingen die Kosten für den
Netzausbau viel Geld, das verdient werden muss. In Deutschland hat
zudem die Übernahme von E-Plus durch Telefónica den Wettbewerb eher
erlahmen lassen. Statt Preise zu senken, zeige sich die Tendenz,
immer mehr Leistungen in Tarife zu packen, obwohl die Kunden das oft
gar nicht benötigen, sagt ein Marktbeobachter. Das sieht
Telekom-Experte Thorsten Gerpott, Professor der Universität
Duisburg-Essen, ähnlich: «Es gilt hier: Mehr Leistung für das gleiche

Geld».