Die «Agenda von Rom» - wie geht es weiter mit der EU? Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

26.03.2017 06:00

Brexit und Dauerkrise trüben die Feierlaune zum EU-Geburtstag.
Immerhin haben sich die bald nur noch 27 EU-Länder für ihren
Sondergipfel eine gemeinsame Erklärung abgerungen. Aber reicht das?

Rom (dpa) - Stärker, einiger, solidarischer: 60 Jahre nach ihren
Anfängen bemüht sich die Europäische Union um Aufbruchsstimmung. Die

Erklärung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen am
Samstag in Rom besiegelt haben, soll das Versprechen auf Frieden und
Wohlstand erneuern, mit dem die Gründerväter Europas 1957 begannen.

Tatsächlich wartet die Gemeinschaft dringend auf einen Ruck. Ermüdet
von Krisen und Streit muss sie nächste Woche ihren schwersten
Rückschlag einstecken: Großbritannien will offiziell den EU-Austritt
beantragen. Und in wenigen Wochen entscheiden die Franzosen, ob die
EU-Verächterin Marine Le Pen an die Macht kommt und die Gemeinschaft
niedermacht.

Was also setzt die Rest-EU der 27 den Anfeindungen entgegen, dem
Misstrauen und den Selbstzweifeln? Auch die «Agenda von Rom» war eine
schwere Geburt, zeitweise wurde darüber heftig gestritten.
Herausgekommen ist nun eine Mischung aus Pathos und recht
kleinteiliger Projektbeschreibung, ein trotziges Manifest - und ein
typischer EU-Kompromiss.

Was steht in dem dreiseitigen Papier?

Die Erklärung feiert die Erfolge Europas seit den Gründungsverträgen

1957 und gelobt, die «nie dagewesenen Herausforderungen» vom Terror
über die Flüchtlingskrise bis zum Protektionismus gemeinsam zu
bewältigen. Für die nächsten zehn Jahre setzt sich die EU vier Ziele:

ein sicheres und geschütztes Europa; ein wohlhabendes und
nachhaltiges Europa; ein soziales Europa; und ein stärkeres Europa in
der Welt mit mehr gemeinsamem Einsatz für Sicherheit und
Verteidigung. «Wir sind zu unserem Glück vereint», heißt es zum
Schluss. «Europa ist unsere gemeinsame Zukunft.»

Worüber wurde gestritten?

Wichtigster Aufreger bei der Vorbereitung der Erklärung war das
«Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten», das Deutschland und
andere große Mitgliedstaaten wollen. Das bedeutet: Wenn nicht alle
EU-Länder ein Projekt mittragen, dürfen trotzdem andere schonmal
anfangen. Die Befürworter sehen das als Rezept, die oft endlosen
Debatten auf EU-Ebene etwas abzukürzen, Blockierer auszubremsen und
die Gemeinschaft handlungsfähiger zu machen.

Polen und andere Mitglieder im Osten befürchten aber, dass sie
abgehängt werden. Die Regierung in Warschau drohte zeitweise mit
Blockade, drehte am Freitag aber bei. In der Erklärung steht nun eine
sehr weiche Formulierung: «Wir werden gemeinsam - wenn nötig mit
unterschiedlicher Gangart und Intensität - handeln, während wir uns
in dieselbe Richtung bewegen.» Und für die Skeptiker heißt es:
«Unsere Union ist ungeteilt und unteilbar.»

Was störte die Griechen?

Auch Griechenland erhob zuletzt Einwände, aber aus einem anderen
Grund. Die Regierung in Athen verlangte ein Bekenntnis, dass die
sozialen Errungenschaften der EU für alle Mitglieder gelten.
Hintergrund ist die bittere Auseinandersetzung über Rettungshilfen
für Athen, die von Arbeitsmarktreformen abhängig gemacht werden. Der
Streit wurde letztlich mit warmen Worten von EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker beschwichtigt. Doch wird auch in der Erklärung
auf die Bedeutung des «Sozialen Europas» hingewiesen und der Kampf
gegen Arbeitslosigkeit und Armut wird ausdrücklich als Aufgabe der
Union benannt.

Was wird sich demnächst ändern in der EU?

Wenn man nach der Erklärung geht: Nicht viel. Die
Zustandsbeschreibung der «Gemeinschaft des Friedens, der Freiheit,
der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit»
unterscheidet sich nur in Nuancen vom ausgegebenen Ziel: «In den
kommenden zehn Jahren wollen wir eine sichere und geschützte,
wohlhabende, wettbewerbsfähige, nachhaltige und sozial
verantwortungsvolle Union, die willens und in der Lage ist, eine
entscheidende Rolle in der Welt zu spielen und die Globalisierung zu
gestalten.»

Was dazu gehört, wird dann in ziemlich vielen Stichworten
beschrieben, von der Migrationspolitik über Gleichstellung, Bewahrung
des kulturellen Erbes, bessere Verteidigung, Freihandel, Klimaschutz
- es ist für jeden etwas dabei, aber ohne klar erkennbare rote Linie.
Immerhin drei Hinweise auf Reformwillen gibt es: Man wolle den Sorgen
der Bürger zuhören und Entscheidungsprozesse verbessern. Und: «Wir
möchten, dass sich die Union in großen Fragen groß und in kleinen
Fragen klein zeigt.»

Reicht das, um dem Projekt neuen Schwung zu geben?

Wohl kaum - auch wenn Juncker nach dem Treffen in Rom tatsächlich
«Aufbruchstimmung» witterte. Doch räumt er auch ein, dass ein echtes

Konzept fehlt. Vorschläge hat er gemacht, aber wie sieht die Zukunft
der EU konkret aus? «Eine Antwort darauf haben wir noch nicht»,
bekennt Juncker in einem gemeinsamen Beitrag mit
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger für die «Mitteldeutschen
Zeitung».