Sicherheitsbedenken: Berlin klagt gegen EU-Standards für Baustoffe

19.04.2017 19:26

Schädliche Ausdünstungen vom Parkett oder vom Boden der Sporthalle -
Baumaterialien können unschöne Auswirkungen haben. Die
Bundesregierung ist mit den EU-Normen dazu unzufrieden und handelt.

Berlin/Brüssel (dpa) - Deutschland kritisiert Lücken bei Sicherheit
und Gesundheitsschutz bei europäischen Standards für Baustoffe und
verklagt deshalb die EU. Man habe Klage beim EU-Gericht erster
Instanz in Luxemburg eingereicht, teilte das Bundesumweltministerium
am Mittwoch in Berlin mit. Hintergrund ist ein schon länger dauernder
Streit mit der EU-Kommission über die Frage, ob Deutschland höhere
Anforderungen an Baumaterialien stellen darf, als im EU-Recht
vorgesehen.

Der Europäische Gerichtshof hatte 2014 gegen Deutschland geurteilt
und entschieden, dass EU-Staaten über die europäische
CE-Kennzeichnung hinaus keine weiteren Prüfungen verlangen können.

Die aktuellen EU-Normen gefährden nach Auffassung der Bundesregierung
allerdings die Bausicherheit und teilweise auch Umwelt- und
Gesundheitsschutz. Sie meldete deshalb 2015 bei der EU-Kommission
gegen mehrere Normen Bedenken an. Die Einwände gegen die Vorgaben zu
Holzfußböden und Sportböden hat die Brüsseler Behörde schon
zurückgewiesen. Dagegen klagt Deutschland nun kurz vor Ablauf der
Widerspruchsfrist an diesem Mittwoch. Die auf Länderebene geregelten
Bauvorgaben gelten damit weiter.

Die EU-Kommission verhandelt seit langem mit Deutschland, bisher aber
erfolglos. Ein Argument: Deutschland könne ja Vorschriften für die
Sicherheit von Gebäuden machen statt zusätzliche Anforderungen an
normierte Produkte zu stellen.

Das löst das Problem aus deutscher Sicht allerdings nicht, weil die
EU-Normen bestimmte Angaben zu den Stoffen gar nicht erst
vorschreiben. Dann könnten Bauunternehmen, die etwa Fußbodenbeläge
für Sporthallen sowie Holz- und Parkettfußböden einbauen, nicht mehr

überprüfen, ob diese gesundheitsschädliche Stoffe in die
Innenraumluft abgeben, erklärte das Umweltministerium. Die
Fußboden-Hersteller wären demnach nicht mehr verpflichtet, einen
Nachweis über Ausdünstungen ihrer Bodenbeläge zu geben. «Es bestü
nde
daher die Gefahr, dass Hauseigentümer und Mieter einer höheren
Schadstoffkonzentration ausgesetzt werden.»

Unabhängig vom Gerichtsverfahren in Luxemburg könnte sich Deutschland
am Ende durchsetzen. So prüft die EU-Kommission derzeit, ob die
relevante Gesetzgebung überarbeitet werden könnte, eine Entscheidung
dazu soll bis 2019 fallen. Und möglicherweise bekommt Deutschland die
Erlaubnis, eine sogenannte Testnorm anzuwenden: Das ist eine
Variante, die zwar bislang keine anerkannte EU-Norm ist, aber
deutschen Bedenken Rechnung tragen soll. Über die Vorbereitung der
Klage hatte zuerst die «Welt» berichtet.