Griechisches Drama: Die Zahlen sind gut, das Leben bleibt schwer Von Takis Tsafos, dpa

21.04.2017 14:51

Die Griechen behalten wieder mehr Geld in der Staatskasse - und
erreichen damit ein wichtiges Ziel der Gläubiger. Vielen Menschen im
Land geht es aber immer schlechter.

Athen (dpa) - Manche in Athen sprechen von einem «monströsen»
Überschuss. Griechenland hat im vergangenen Jahr wieder mehr Geld in
der Staatskasse behalten, wenn man die Kosten für Zinsen und Tilgung
laufender Kredite herausrechnet. Das Land habe einen Primärüberschuss
von 6,9 Milliarden Euro erreicht, berichtete das Statistikamt in
Athen. Das seien 3,9 Prozent des Bruttoinlandproduktes. Damit meldet
die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras einen Erfolg - die
Gläubiger hatten nur mit 0,5 Prozent gerechnet.

«Es ist tatsächlich ein gewaltiger Primärüberschuss», sagte ein h
oher
Beamter des Finanzministeriums der Deutschen Presse-Agentur.
Griechenland habe knapp um das Achtfache die Vorgaben seiner
Gläubiger erfüllt. Wie ist aber dieser Überschuss entstanden?

«Auf dem Rücken der Bürger», sagt Ökonom Panagiotis Petrakis von
der
Universität Athen. Seine Vermutung: Die Regierung habe «alle
möglichen Zahlungen» zeitlich versetzt. «Und wer seine Rechnungen
nicht zahlt, der kann leicht Überschüsse erzielen.» Der Staat habe
beispielsweise die Lieferanten der Krankenhäuser nicht bezahlt. Und
Mehrwertsteuern würden nicht an Betriebe zurückerstattet, die einen
Anspruch darauf hätten, sagt der Wirtschaftsprofessor.

Griechenland hat einen großen Schuldenberg angehäuft und muss im
Gegenzug für Hilfskredite harte Reformen erfüllen. Die Renten wurden
gekürzt - und werden seit Monaten nach Angaben von Rentnerverbänden
nicht in voller Hohe ausgezahlt. Die Mehrwertsteuer wurde erhöht -
und wer durch Athen geht, merkt die Wut. «Willkommen in Griechenland,
dem Land der Möglichkeit - und der Steuern, Steuern und noch mehr
Steuern», hat jemand auf eine Wand geschrieben.

Wenn die Menschen weniger Geld haben, geben sie auch weniger aus -
das ist schlecht für die Läden vor Ort. «Das Ergebnis ist: Der Markt

erstickt», sagt Buchhalter Nikos Wroussis. Er betreut Dutzende kleine
Geschäfte in einer Athener Vorstadt. Im Einzelhandel sei die Lage
dramatisch. Es würden mehr Menschen entlassen, weil kaum ein Kunde
die Läden betrete. Und wer seinen Job verliert, kauft danach so wenig
wie möglich. Ein Teufelskreis. Sogar die Supermärkte haben in den
vergangenen Monaten drei Prozent weniger Umsatz gemeldet.

Die Arbeitslosigkeit in dem Mittelmeerland, in dem viele Deutsche
Urlaub machen, beträgt gut 23 Prozent. Zehntausende gut ausgebildete
Griechen, Ärzte und Ingenieure, haben Arbeit in Mitteleuropa und in
arabischen Staaten gefunden. Die Krankenkassen drohen
zusammenzubrechen, weil sie wegen der Arbeitslosigkeit und niedriger
Löhne weniger Einnahmen haben. Neue Sparmaßnahmen wären dann nötig.


«Was aber Griechenland dringend braucht, sind Investitionen und
Wachstum, nicht noch mehr Sparmaßnahmen», meint der Ökonom Petrakis.

Über die Frage, ob der Staat noch mehr sparen oder lieber mehr
investieren sollte, sind sich auch Experten nicht einig.

Der Primärüberschuss ist eine Größe, über die auch die Geldgeber

streiten. Er blendet den Schuldendienst aus, um Fortschritte bei den
laufenden Ausgaben und Einnahmen besser erkennen zu können. Wie hoch
muss er künftig mindestens sein? Die europäischen Geldgeber fordern
mittelfristig 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr, der
Internationale Währungsfonds ist skeptisch und drängt stärker auf
Schuldenerleichterungen. Dass Athen neue Zahlen genau dann
veröffentlicht, wenn sich in Washington die Finanzelite trifft,
dürfte kein Zufall sein.

Entlang der wichtigsten Einkaufsstraßen Athens und anderer Städte
Griechenlands sieht es derweil traurig aus. Hunderte Geschäfte stehen
leer. «Ich gehe davon aus, dass es kaum noch Wachstum dieses Jahr
geben wird», sagt Ökonomie-Professor Petrakis. Einzige Hoffnung ist
der Tourismus: Dieses Jahr wird mit einem Rekord von mehr als 28
Millionen Urlaubern gerechnet. Wie es weitergehen soll, wissen viele
Griechen aber nicht mehr.