EU-Kommissionsvize: Auto-«Supermacht» Europa muss Anschluss halten Interview: Verena Schmitt-Roschmann, dpa

23.04.2017 11:15

China ist bei Elektrofahrzeugen weit vorn. Nun soll die europäische
Autoindustrie aufholen. EU-Kommissar Sefcovic erklärt, wie das
funktionieren soll.

Brüssel (dpa) - Nach dem VW-Skandal will die EU-Kommission der
Autoindustrie helfen, mit umweltfreundlichen Fahrzeugen ihre Stellung
als «Supermacht» zu sichern - so sagt es der für Energiefragen
zuständige Vizepräsident Maros Sefcovic in einem Interview der
Deutschen Presse-Agentur zum Start der Hannover Messe. Das Rezept:
neue Schadstoff-Grenzwerte und finanzielle Unterstützung bei
Ladestationen für E-Autos und Brennstoffzellen.

Frage: Herr Kommissar, Sie haben neue Schadstoff-Grenzwerte für Autos
für die Jahre ab 2021 angekündigt. Was genau planen Sie?

Antwort: Wir arbeiten am letzten großen Paket zur Energieunion, und
dabei geht es um klimafreundlichen Verkehr. 17 Prozent der Klimagase
der EU stammen aus dem Straßenverkehr. Und jährlich sterben 450 000
Europäer vorzeitig wegen schlechter Luft. Das ist ein klarer Hinweis,
dass wir etwas tun müssen. Aber unabhängig von der Bedeutung für die

Menschen und das Klima ist es für die Autoindustrie und Europa sehr
wichtig, dass hier die besten Autos gebaut werden - die saubersten,
sichersten und effizientesten. China macht hier große Fortschritte
und hat große Fabriken für Elektroautos. Ich will auf jeden Fall
vermeiden, dass es der europäischen Autoindustrie ergeht wie (dem
Filmhersteller) Kodak (bei der Einführung von Digitalkameras).

Frage: War die EU zu nachsichtig mit der Autoindustrie, so dass diese
im Wettbewerb abgehängt wurde?

Antwort: Wir waren sehr erfolgreich bei der Reduzierung des
CO2-Ausstoßes. Wir sind die Nummer eins beim Verbrennungsmotor. Der
Erfolg bei dieser Technologie hat uns dazu verleitet anzunehmen, dass
wir bei Technologien wie Brennstoffzellen oder E-Autos nicht ganz so
stark sein müssen. Aber ich glaube, das hat sich jetzt geändert.

Frage: Aber die Senkung der CO2-Emissionen von 170 auf 123 Gramm pro
Kilometer fand doch weitgehend nur auf dem Papier statt, denn
tatsächlich ist der Treibstoffverbrauch im normalen Verkehr um
durchschnittlich 42 Prozent höher als bei Tests.

Antwort: Es stimmt, dass es bei den Tests in der Vergangenheit viele
Fehler gab. Wir sind dabei, das zu korrigieren. Die Autoindustrie hat
einen hohen Preis für den VW-Skandal bezahlt. Es war der Tropfen, der
das Fass zum Überlaufen brachte und allen klarmachte, dass wir bei
etlichen Punkten besser werden müssen. Es geht auch darum, das
Vertrauen der Verbraucher wiederzugewinnen. Wir wollen emissionsfreie
Autos voranbringen, dann wird diese Diskussion beendet.

Frage: Welche Schadstoffwerte sollen ab 2021 konkret gelten?

Antwort: Wir prüfen gerade, was technisch möglich ist. Aber es wird
natürlich ehrgeiziger sein als die jetzt vorgesehenen Werte.
Gleichzeitig wollen wir den Aufbau von Ladestationen für alternative
Antriebe beschleunigen. Laut einer neuen Studie würde die nötigste
Infrastruktur auf den wichtigsten grenzüberschreitenden Straßen in
Europa - dem sogenannten transeuropäischen Netz - rund 1,5 Milliarden
Euro kosten. Das ist kein unerschwinglicher Betrag. Wir wollen zudem
vorschlagen, bei Spitzentechnologie zusammenzuarbeiten: beim
automatisierten Verkehr und kommunizierenden Autos. Wir wären damit
der erste Kontinent, der die Infrastruktur für zwei zentrale Projekte
hätte: alternative Antriebe und selbstfahrende und vernetzte Autos.
Damit wären wir auf gutem Weg, im Autobau eine Supermacht zu bleiben.

Frage: Was kann die EU-Kommission dazu beitragen?

Antwort: Wir müssen daraus eine Geschäftsidee und eine Investition
machen. Deshalb prüfen wir zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten, um

diese Infrastruktur auszubauen. Wir sprechen darüber mit der
Europäischen Investitionsbank. Und wir prüfen, ob wir Einnahmen aus
dem Verkauf von CO2-Zertifikaten verwenden können.

Frage: Wie schnell wird das gehen?

Antwort: Die Mitgliedstaaten sollten nach jetzigem EU-Recht die
Infrastruktur in den Jahren 2020 bis 2025 haben. In unserem geplanten
Paket werden wir darlegen, wie wir das finanziell unterstützen. Damit
können wir natürlich nicht fünf oder zehn Jahre warten. Die
Lösungsvorschläge müssen wir schon dieses Jahr machen.

Frage: Zurück zu den künftigen Schadstoffgrenzwerten. Kann man davon
ausgehen, dass sie nur mit alternativen Antrieben einzuhalten sind?

Antwort: Bis 2050 sollten wir die Klimagase aus dem Verkehr um 60
Prozent verringern. Dafür brauchen wir Fortschritte bei allen
verfügbaren Technologien, denn die herkömmlichen Autos werden nicht
innerhalb eines Jahres ersetzt. Wir müssen sicherstellen, dass der
Anteil schadstofffreier Autos Schritt für Schritt wächst und bis 2030
einen erheblichen Teil der Flotte ausmacht. Aber jetzt schon konkrete
Zahlen zu nennen, wäre verfrüht.

ZUR PERSON: Maros Sefcovic (50) war zeitweise Diplomat für sein
Heimatland Slowakei und gehört seit 2009 der EU-Kommission an. Seit
2014 ist er als Vizepräsident zuständig für die Energieunion.