Brexit: Die EU ist bereit - und scharrt mit den Hufen Von Verena Schmitt-Roschmann, dpa

22.05.2017 14:55

Es wird Zeit, dass es losgeht mit den Verhandlungen über den
EU-Austritt Großbritanniens. Das finden zumindest die 27 Staaten der
Rest-EU. Denn die Stimmung ist nervös und die Probleme werden nicht
kleiner.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Union ist startklar für die
Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien. Die 27 bleibenden EU-Staaten
gaben ihrem Chefunterhändler Michel Barnier am Montag offiziell ein
Mandat mit einem detaillierten Forderungskatalog. Nicht nur er wird
langsam ungeduldig. «Ich würde die britischen Unterhändler gerne so
schnell wie möglich am Verhandlungstisch sehen», sagte Barnier
danach.

Die Uhr tickt für die äußerst komplizierte Scheidung nach mehr als 40

Jahren Partnerschaft. Ganz schmerzfrei wird sie sicher nicht. Mancher
fürchtet inzwischen einen Trümmerbruch. Der Brexit werde «sehr, sehr

kompliziert», warnt auch Kanzlerin Angela Merkel.

Warum erst nach einem Trennungsjahr?

Schon im vergangenen Juni entschied sich eine Mehrheit der Briten für
den EU-Austritt. Aber vorbereitet war ihre Regierung nicht. Erst Ende
März stellte Premierministerin Theresa May offiziell den Antrag und
startete damit die zweijährige Verhandlungsfrist. Bis März 2019 soll
ein Austrittsabkommen stehen. Losgehen können die Gespräche jedoch
erst nach der britischen Parlamentsneuwahl am 8. Juni. Barnier sagte,
er rechne mit einer ersten Verhandlungsrunde in der Woche ab dem 19.
Juni. Das wäre fast pünktlich zum ersten Jahrestag des Brexit-Votums
vom 23. Juni 2016.

Rosenkrieg oder treuliche Trennung?

Beide Seiten beteuern offiziell ihr Interesse an einer gütlichen
Trennung und engen künftigen Beziehungen, um Wirtschaft und Bürgern
möglichst wenig zu schaden. Doch es sei allzuleicht, das Verfahren
nach Artikel 50 der EU-Verträge zu versemmeln, meint der ehemalige
britische Europaabgeordnete Andrew Duff. Der Ton ist giftig, seit in
Brüssel vertrauliche Informationen aus einem Dinner von
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei May gestreut wurden. Die
Regierungschefin wurde als unnachgiebig und weltfremd dargestellt -
May reagierte äußerst gereizt. Öffentlich betont sie, sie wolle
lieber keine Einigung mit der EU als eine schlechte. Die EU-Seite
lässt hingegen gerne anklingen, dass ein ungeordneter Brexit ohne
Anschlussregelungen für die Briten schlimmer wäre. Kurzum: Beide
Seiten üben sich im Imponiergehabe.

Wer übernimmt die gemeinsame Hypothek?

In Barniers Verhandlungsmandat schreibt die EU drei Kernforderungen
fest, die zuerst geklärt werden sollen. Besonders schwierig: die
Schlussrechnung für das Vereinigte Königreich. Die EU verlangt den
britischen Anteil für Finanzentscheidungen, die man gemeinsam
getroffen hat, vor allem für den EU-Haushalt, gemeinsame Fonds und
Pensionslasten. Inoffizielle Berechnungen gehen von 100 Milliarden
Euro oder mehr aus. Die britische Regierung hält solche Summen für
absurd. Barnier selbst nennt bewusst keine Zahl, sondern spricht nur
von Berechnungsmethoden, über die man sich einigen müsse. Das lässt
zumindest Verhandlungsspielraum.

Was wird mit den EU-Bürgern auf der Insel und den Briten in der EU?

Die beiden anderen Kernpunkte aus Barniers Mandat: Die EU will
schnell Garantien vereinbaren, dass die 3,2 Millionen EU-Bürger in
Großbritannien und die 1,2 Millionen Briten in der EU weiter so leben
können wie bisher, ohne um Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis, um
ihre Rente oder Krankenversicherung fürchten zu müssen. Und sie will
unbedingt eine neue befestigte Grenze zwischen dem britischen
Nordirland und dem EU-Mitglied Irland vermeiden. Sonst wäre der
fragile Frieden zwischen Katholiken und Protestanten auf der Insel in
Gefahr. In diesen Punkten ist der Ton beidseits konzilianter als beim
Geld.

Alles offen bis zum Schluss?

Erst wenn die EU in diesen drei Hauptfragen Zugeständnisse bekommt,
will sie über einen künftigen Handelspakt mit Großbritannien reden,
frühestens ab Herbst. Um ganz sicher zu gehen, erteilten die 27
Länder Barnier das Mandat zunächst auch nur für diese erste Phase.
Großbritannien will hingegen eine Paketlösung, die auch einen
künftigen Handelspakt umfasst. «Wie sagt man in Brüssel: Nichts ist
beschlossen, bis nicht alles beschlossen ist», sagte Außenminister
Boris Johnson vor ein paar Tagen - sogar auf Französisch. Das
Noch-Mitglied hat Druckmittel, es kann in der EU Nadelstiche setzen.
So stoppte London zuletzt einen Beschluss zum Haushaltsfinanzrahmen,
was wiederum den SPD-Europapolitiker Jo Leinen drohen ließ: «Sollte
die britische Regierung absichtlich Sand in das Getriebe der
Europäischen Union streuen, um die Brexit-Verhandlungen zu
beeinflussen, wäre das ein inakzeptabler Vertrauensbruch, der
Konsequenzen hätte.»