Millionen wollen nach Europa - Entwürdigende Zustände in Libyen

23.05.2017 10:58

Wer mit einem Schlepperboot über das Mittelmeer nach Europa will,
riskiert sein Leben. Hilfsorganisationen warnen davor, diese Menschen
künftig zurück nach Libyen zu bringen.

Berlin (dpa) - Die Zahl der nach Europa strebenden Flüchtlinge hat in
den Staaten südlich und östlich des Mittelmeers seit Jahresbeginn
deutlich zugenommen. Das berichtete die «Bild»-Zeitung am Dienstag
unter Berufung auf ein als «vertraulich» eingestuftes Papier
(«VS-NfD») der deutschen Sicherheitsbehörden. Demnach warten in den
Staaten Nordafrikas, in Jordanien und der Türkei bis zu 6,6 Millionen
Flüchtlinge auf eine Weiterreise (Stand: Ende April 2017). Ende
Januar waren es den Angaben zufolge 5,95 Millionen, was einem Anstieg
bis Ende April um knapp 12 Prozent entspricht.

Ärzte ohne Grenzen warnte dringend davor, Menschen, die auf Booten im
Mittelmeer aufgegriffen werden, nach Libyen zurückzuschicken. «Die
Zustände für Schutzsuchende in den libyschen Internierungslagern sind
entwürdigend», sagte der Geschäftsführer der Hilfsorganisation in
Deutschland, Florian Westphal. Gefangene müssten oft tagelang
hungern. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl erklärte, bis Mitte
Mai seien bereits 1364 Menschen auf der Flucht nach Europa im
Mittelmeer gestorben. Die europäische Außengrenze sei inzwischen die
«tödlichste Grenze der Welt».

Das Bundesverfassungsgericht mahnte Behörden und Gerichte, bei der
Abschiebung abgelehnter Asylbewerber in einen Drittstaat die
Aufnahmebedingungen mit der gebotenen Gründlichkeit zu prüfen.
Zumindest wenn es «Anhaltspunkte für eine unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung» gebe, müssten vor der Entscheidung nähere
Informationen eingeholt werden. Mit ihrem am Dienstag
veröffentlichten Beschluss stoppen die Karlsruher Richter die
Abschiebung eines Syrers nach Griechenland. (Az. 2 BvR 157/17)

Auf der Balkanroute stecken nach Informationen der «Bild»-Zeitung aus
Sicherheitskreisen 79 000 Flüchtlinge fest (Januar 2017: 78 000),
davon allein 62 500 in Griechenland. Italien ist von den
Bootsanlandungen der Flüchtlinge auf der Mittelmeerroute am stärksten
betroffen. Bis Ende April 2017 sind dort rund 37 300 Flüchtlinge
angekommen (2015: 181 500). Dem Bericht zufolge stammen 55 Prozent
aus Nigeria, Bangladesch, Guinea, der Elfenbeinküste und Gambia.

Die CDU will laut «Bild» als Reaktion auf die Entwicklung mit der
Bekämpfung der Fluchtursachen Wahlkampf machen. Im Entwurf des
sicherheitspolitischen Teils des Wahlprogramms zur Bundestagswahl
2017 (Titel: «Sicher und frei leben in Deutschland») stehe: Die
Partei wolle mehr Vereinbarungen «nach Vorbild des Türkei-Abkommens»

treffen - vor allem mit Nordafrika. Menschen, die «aus Booten der
Schlepper vor dem Ertrinken gerettet werden», sollten zurück an die
Küste gebracht und dort in Absprache mit den Ländern versorgt werden.

Die Zahl der Asylklagen ist in diesem Jahr stark gestiegen. Bis Ende
März seien bei den Verwaltungsgerichten bundesweit rund 97 000 Haupt-
und Eilverfahren von Asylbewerbern gegen ihre Aufenthaltsbescheide
eingegangen, berichteten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe unter
Berufung auf Zahlen der Landesjustizministerien. Im gesamten Jahr
2016 seien es gut 181 000 Verfahren gewesen.