Lammert nennt Kohl Glücksfall für Deutschland und Europa

22.06.2017 10:50

Es war der einzige offizielle Trauerakt für den Altkanzler in
Deutschland: Der Bundestag gedenkt Helmut Kohl fraktionsübergreifend.
Der Parlamentspräsident findet würdigende Worte - und lässt auch die

Schattenseiten des Pfälzers nicht aus.

Berlin (dpa) - Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die
historischen Verdienste von Altkanzler Helmut Kohl für die deutsche
Einheit und ein friedliches Europa gewürdigt. Der am Freitag nach
langer Krankheit gestorbene Pfälzer sei «ein Glücksfall für
Deutschland und für Europa» gewesen, sagte er am Donnerstag in einer
Gedenkfeier des Bundestages in Berlin. Lammert zeichnete zugleich das
Bild eines Mannes zwischen Integration und Polarisierung: «Kohls Weg
säumten nicht zuletzt Verletzungen - die er selbst erlitt und die er
anderen zufügte.»

An der Würdigung Kohls im Parlament nahmen neben Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) und zahlreichen Mitgliedern ihres schwarz-roten
Kabinetts auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie dessen
Amtsvorgänger Joachim Gauck und Horst Köhler teil. Am Ende erhoben
sich die Abgeordneten aller Fraktionen zu einer Schweigeminute. Kein
Bundeskanzler war bisher länger im Amt als Kohl, der Deutschland von
1982 bis 1998 regierte.

Die Gedenkstunde des Bundestages wird voraussichtlich der einzige
nationale Gedenkakt für den im Alter von 87 Jahren in seinem Haus in
Ludwigshafen-Oggersheim gestorbenen Altkanzler sein. Am 1. Juli wird
es für ihn im Europaparlament in Straßburg den ersten europäischen
Trauerakt für einen Politiker geben. Die von EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker angeregte Feier soll Zeichen für die besonderen
Verdienste Kohls um die Einheit Europas sein. Die Gestaltung der
Gedenkfeiern für Kohl ist auch wegen der Wünsche von Kohls zweiter
Ehefrau Maike Kohl-Richter nicht einfach.

Lammert sagte über Kohl: «Wir verdanken es wesentlich ihm, dass sie
heute Realität ist, die friedliche Einheit unseres Landes in einem
freien und befriedeten Europa.» Die große Anteilnahme in den
Nachbarstaaten und weltweit unterstrichen die herausragende Leistung
Kohls als Ehrenbürger Europas. Art und Ort der Würdigung einer solch
herausragenden politischen Lebensleistung in und für Deutschland
seien aber «bei allem Respekt nicht nur eine Familienangelegenheit».
Der Bundestag sei dafür der bestmögliche Ort.

Die Persönlichkeit Kohls lasse fast niemanden gleichgültig, erinnerte
Lammert. «Legendär sind seine integrierende Kraft wie seine
polarisierende Wirkung - im Übrigen zwischen den Parteien ebenso wie
innerhalb der Union.» In politischen wie privaten Dingen sei Kohls
Gedächtnis phänomenal gewesen.

Lammert erinnerte auch an Kohls Spendenaffäre 1999: «Manche Fehler
räumte Kohl selbst ein. Dass sein Abschied nach dem Verlust der
Regierungsverantwortung auch aus der aktiven Politik so wurde, wie es
die in der Formulierung seines Biografen Hans-Peter Schwarz die
Umstände der «kreativen Verschleierung von Parteispenden» am Ende
erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen, bisweilen auch
außergewöhnlich sturen Persönlichkeit Kohls zusammen.» Merkel hatte

im Dezember 1999 als CDU-Generalsekretärin mit einer öffentlichen
Distanzierung wesentlich zu seinem Sturz beigetragen.