Gedenken an Kohl: Glücksfall und Verletzungen

23.06.2017 11:48

Der Bundestag gedenkt Helmut Kohl, Parlamentspräsident Lammert
spricht über Licht und Schatten - es ist der einzige offizielle
Trauerakt in Deutschland für den Kanzler der Einheit.

Berlin (dpa) - Bundestagspräsident Norbert Lammert hat beim einzigen
Trauerakt für Helmut Kohl in Deutschland den Altkanzler als
Glücksfall für das Land und Europa - aber auch Schattenseiten in
dessen Leben beschrieben. «Kohls Weg säumten nicht zuletzt
Verletzungen, die er selbst erlitt und die er anderen zufügte», sagte
Lammert am Donnerstag in einer Gedenkfeier des Bundestages.

Kohl war am 16. Juni im Alter von 87 Jahren gestorben und in seinem
Wohnhaus in Ludwigshafen-Oggersheim aufgebahrt worden. Am Donnerstag
wurde ein Sarg abgeholt. Ein europäischer Trauerakt ist für den 1.
Juli geplant, anschließend soll Kohl auf einem Friedhof in Speyer
beigesetzt werden.

Die Gestaltung der Gedenkfeiern für Kohl gilt wegen der Wünsche von
Kohls zweiter Ehefrau, Maike Kohl-Richter, als nicht einfach. Die
frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth bedauerte, dass es keinen

deutschen Staatsakt geben wird. Sie sagte dem Nachrichtenradio MDR
Aktuell: «Das hätte sich anders regeln lassen.» Auch die Bürger in

Deutschland hätten ein Recht darauf, Abschied zu nehmen.

Lammert sagte, Art und Ort der Würdigung einer solch herausragenden
politischen Lebensleistung in und für Deutschland seien «bei allem
Respekt nicht nur eine Familienangelegenheit». Der Bundestag sei
dafür der bestmögliche Ort. Neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und
zahlreichen Mitgliedern ihres schwarz-roten Kabinetts nahmen auch
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie dessen Amtsvorgänger
Joachim Gauck und Horst Köhler daran teil. Am Ende erhoben sich die
Abgeordneten aller Fraktionen zu einer Schweigeminute. Kein
Bundeskanzler war bisher länger im Amt als Kohl, der Deutschland von
1982 bis 1998 regierte. 25 Jahre war er CDU-Vorsitzender.

Am kommenden Dienstag werden viele Bundestagsabgeordnete an einer
Totenmesse für Kohl in Berlin teilnehmen. In einem Brief an die
Parlamentsmitglieder schrieb Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU):
«Viele Kolleginnen und Kollegen haben das Bedürfnis, auch hier in
Berlin, in der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands und am
Sitz des Deutschen Bundestages, dem Helmut Kohl von 1976 bis 2002
angehörte, an ihn zu erinnern und seiner zu gedenken.» Dem Vernehmen
nach ist die Totenmesse in der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin auf
Einladung von Prälat Karl Jüsten mit Maike Kohl-Richter abgestimmt.

Auch das Berliner Abgeordnetenhaus erinnerte mit einer Schweigeminute
an Kohl. Parlamentspräsident Ralf Wieland sagte ferner: «Wir werden
nie vergessen, dass Helmut Kohl als Bundeskanzler dafür sorgte, dass
die Stadt Berlin in Freiheit ihre geeinte Zukunft gestalten konnte.»

Lammert sagte, die Persönlichkeit Kohls lasse fast niemanden
gleichgültig. «Legendär sind seine integrierende Kraft wie seine
polarisierende Wirkung - im Übrigen zwischen den Parteien ebenso wie
innerhalb der Union.» In politischen wie privaten Dingen sei Kohls
Gedächtnis phänomenal gewesen. Er erinnerte auch an Kohls
Spendenaffäre: «Dass sein Abschied nach dem Verlust der
Regierungsverantwortung auch aus der aktiven Politik so wurde, wie es
die in der Formulierung seines Biografen Hans-Peter Schwarz die
Umstände der «kreativen Verschleierung von Parteispenden» am Ende
erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen, bisweilen auch
außergewöhnlich sturen Persönlichkeit Kohls zusammen.» Merkel hatte

im Dezember 1999 als CDU-Generalsekretärin mit einer öffentlichen
Distanzierung wesentlich zu seinem Sturz beigetragen.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban schrieb in einem Brief an
Maike Kohl-Richter: «Die Arbeit von Helmut Kohl, wodurch er das Land
aufbaute, bleibt stets ein Beispiel und ein Kompass.» Der
rechts-konservative Politiker gilt als erbitterter Gegner von Merkels
Flüchtlingspolitik.

Für den Nachlass von Helmut Kohl wird nach Angaben des Anwalts
Stephan Holthoff-Pförtner eine eigene Stiftung gegründet. Näheres
dazu werde aber vor der Beerdigung des Altkanzlers nicht mitgeteilt.
Wie der Prozess genau gestaltet werde, sei noch nicht klar, sagte
Holthoff-Pförtner dem Magazin «Focus», das am 24. Juni erscheint.
«Vor der Beisetzung werde ich die Frage, wie die Stiftung gestaltet
wird, nicht diskutieren. Aber es ist völlig klar, dass sie kommen
wird», sagte der Anwalt von Maike Kohl-Richter. Das habe er bereits
2014 erläutert. Kohl hatte nach seiner Abwahl 1998 der CDU-nahen
Konrad-Adenauer-Stiftung zahlreiche Handakten für ihr Archiv in Sankt
Augustin bei Bonn zukommen - aber 2010 wieder abholen lassen.