EU einig beim Ausbau der Verteidigung - und zerstritten bei Migration

22.06.2017 19:28

Ein «schützendes Europa» will der neue französische Präsident und

eine enge Partnerschaft mit Deutschland. Bei seinem ersten EU-Gipfel
macht Emmanuel Macron aber auf ganz andere Weise eine große Welle.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Union treibt die gemeinsame
Verteidigungspolitik und den Kampf gegen den Terror voran.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen billigten am
Donnerstag beim EU-Gipfel den Ausbau der militärischen Zusammenarbeit
und einen Verteidigungsfonds für gemeinsame Rüstungsprojekte.
Begleitet wurden die einmütigen Entscheidungen allerdings von
Misstönen: Der neue französische Präsident Emmanuel Macron
provozierte mit scharfer Kritik an osteuropäischen Ländern wütende
Reaktionen von dort.

Macron hatte einigen Ländern vorgeworfen, finanzielle Hilfen der EU
gerne mitzunehmen, aber gemeinsame Werte nicht zu teilen. Hintergrund
ist unter anderem der Streit über die Verteilung von Flüchtlingen.
Der «Süddeutschen Zeitung» sagte Macron: «Europa ist kein Supermark
t,
Europa ist eine Schicksalsgemeinschaft!». Merkel stellte sich
ausdrücklich hinter Macrons Kritik und betonte ebenfalls die
europäische Wertegemeinschaft.

Polen und Ungarn reagierten empört auf Macron. «Der neue französische

Präsident ist ein Frischling», sagte Ungarns Regierungschef Viktor
Orban. «Sein Einstand war wenig ermutigend.» In Polen betonte ein
Regierungssprecher laut Agentur PAP, der Erhalt von EU-Geldern
verpflichte Polen nicht, auf die EU zu hören. Der tschechische
Präsident Milos Zeman geißelte die EU-Flüchtlingsquoten und zog laut

Agentur CTK eine Parallele zum Warschauer Pakt.

Gegen die drei Länder hatte die EU-Kommission kürzlich ein Verfahren
eröffnet, weil sie sich über EU-Beschlüsse hinwegsetzen und keine
oder nur wenige Flüchtlinge aufnehmen. In der festgefahrenen
Flüchtlingspolitik deuteten sich auch auf dem Gipfel kaum
Fortschritte an.

Bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurde man sich hingegen
schnell einig - die erste Arbeitssitzung wurde um eine Stunde
verkürzt. Man habe sich auf einen verstärkten Kampf gegen
ausländische Terrorkämpfer geeinigt, sagte Ratspräsident Tusk. «Wir

sind fest entschlossen, unsere Menschen zu schützen.» Dazu zählt fü
r
ihn auch die Entscheidung für eine «Ständige Strukturierte
Zusammenarbeit» (Pesco) zur Verteidigung. Dies sei ein «historischer
Schritt», meinte Tusk. Die sogenannte Pesco soll nun binnen drei
Monaten vorangetrieben werden. Ob sie aber wie geplant bis zum
Jahresende starten kann, ist offen. Viele Details bleiben hinter den
Kulissen umstritten.

Die EU wollte mit den Beschlüssen - auch vor dem Hintergrund der
beginnenden Brexit-Verhandlungen - vor allem ein Zeichen der
Einigkeit und der Handlungsfähigkeit setzen - trotz der Hakeleien
zwischen Ost- und Westeuropa. Dafür wollen Deutschland und Frankreich
ihre traditionell enge Zusammenarbeit wiederbeleben. Merkel sagte,
sie setze auf Kreativität und neue Impulse durch Macron. Dieser
sagte: «Wir arbeiten mit Deutschland Hand in Hand.»

Beide wollten am Abend gemeinsam für die Verlängerung der
EU-Sanktionen gegen Russland werben. Erwartet wurde breite
Rückendeckung.

Die britische Premierministerin Theresa May zeigte sich in Brüssel
zufrieden mit dem Start der Gespräche über den EU-Austritt und
kündigte an: «Heute werde ich einige der Pläne des Vereinigten
Königreichs darlegen.» Ihre Noch-Partner wollten aber auf dem Gipfel
nicht über den Brexit verhandeln. Auch Merkel sagte, der Fokus liege
nun vielmehr auf einer guten Zukunft für die 27 bleibenden Länder.

Diese wollten sich am Abend ohne Großbritannien aber indirekt mit dem
Thema befassen. Gesucht werden neue Standorte für die bisher in
London ansässigen EU-Agenturen EMA (Arzneimittel) und EBA
(Bankenaufsicht). Fast alle der 27 Länder wollen sich darum bewerben.
Auf dem Gipfel geht es zunächst nur um ein Auswahlverfahren. Am
Nachmittag zeichnete sich ein Kompromiss ab, der großen Streit
zwischen den Bewerbern vorerst vermeidet.