Der EU-Gipfel in Brüssel: Um was es geht Von Ansgar Haase, Martina Herzog und Verena Schmitt-Roschmann, dpa

22.06.2017 20:44

Wird es am Ende das erhoffte Signal der Einigkeit geben? Oder
stattdessen wieder Zoff? Das ist die große Frage beim EU-Gipfel in
Brüssel. Wieder einmal steht viel auf dem Spiel. Für einzelne Länder,

aber auch für die Union als Ganzes.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Union soll nicht länger als Problem
wahrgenommen werden - sondern als Lösung. Das Motto hat
EU-Ratspräsident Donald Tusk vor dem zweitägigen EU-Gipfel
ausgegeben, der am Donnerstag in Brüssel begann. Allerdings gibt es
auch schwierige Themen. Ein Überblick:

ANTI-TERROR-KAMPF:

Dass die EU angesichts der jüngsten Anschläge in London, Paris und
Brüssel weiter möglichst gemeinsam den Terror bekämpfen sollte, ist
unumstritten. Dafür will sie aber auch die Wirtschaft in die Pflicht
nehmen. Beim Gipfel forderten die Staats- und Regierungschefs die
Industrie zur Entwicklung von Technologien auf, die Gewaltaufrufe im
Internet automatisch aufspüren und löschen.

KLIMASCHUTZ:

US-Präsident Donald Trump hat die Welt mit seiner Absage an das
Pariser Klimaschutzabkommen verstört - die EU will ausdrücklich
dagegen halten und sich zur zügigen und vollständigen Umsetzung des
Vertrags bekennen. Da die USA auch Milliardenbeiträge für die Hilfe
an arme Länder schuldig bleiben könnten, verspricht die EU zudem,
«zum Erreichen der Klimaschutzfinanzierung beizutragen».

VERTEIDIGUNG:

Die EU will in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik unabhängiger
von den USA werden. Um dieses Ziel möglichst schnell zu erreichen,
wurde am Donnerstag der Fahrplan für den Aufbau einer Plattform für
eine engere und flexiblere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten
vereinbart (Pesco). Zudem stellte sich der EU-Gipfel hinter Pläne für
einen europäischen Fonds zur Finanzierung gemeinsamer
Rüstungsprojekte. Ob die beiden Projekte wirklich schnell umgesetzt
werden können, ist fraglich. Einigkeit gibt es nur bei den groben
Linien. Über zahlreiche Details wird hinter den Kulissen weiter
kontrovers diskutiert.

ZWIST UM DIE AGENTUREN:

Wohin ziehen die in London ansässigen EU-Agenturen nach dem Brexit?
In dieser Frage bahnt sich ein knallharter Wettbewerb unter den
verbleibenden 27 EU-Staaten ab. Beim EU-Gipfel sollen die Staats- und
Regierungschefs nun erst einmal das Vergabeverfahren klären. Ein
Vorschlag sieht vor, einen Wettbewerb nach Art des «Eurovision Song
Contest» zu organisieren. Demnach müssten die an den beiden
EU-Agenturen interessierten Länder bis Ende Juli Bewerbungen
erstellen, über die dann im November in geheimer Wahl abgestimmt
werden könnte. Konkret geht es um die EU-Arzneimittelagentur EMA und
die Bankenaufsicht EBA.

HANDEL UND INVESTITIONEN:

Die EU positioniert sich auch hier gegen Ansagen aus Washington und
erteilt Protektionismus im Welthandel eine klare Absage. Ganz ohne
Schutz will sie sich aber auch nicht auf den globalen Marktplatz
begeben: Sie fordert «handelspolitische Schutzinstrumente», die mit
der Welthandelsorganisation WTO in Einklang zu bringen sind. Im
Visier ist China, dem staatlich subventionierte Dumpingexporte
vorgehalten werden. Den ungehemmten Aufkauf europäischer Firmen durch
chinesische Staatskonzerne sieht man ebenfalls kritisch. Gefordert
wird deshalb eine Prüfung, wie «Investitionen von Drittstaaten in
strategische Sektoren ermittelt und einer genauen Untersuchung
unterzogen werden können».

MIGRATION:

Laut Entwurf der Abschlusserklärung wollen die Teilnehmer weiter an
der Stärkung der europäischen Grenz- und Küstenwache arbeiten und die

libysche Küstenwache ausbilden. Sie soll der EU beim Kampf gegen
Schleuser helfen, die Migranten bei der Überfahrt vom Drehkreuz
Libyen nach Europa helfen. Außerdem sollen Länder, die sich weigern,
Migranten aus der EU zurückzunehmen, mit einer restriktiveren
Visa-Vergabe unter Druck gesetzt werden. Die Diskussion über die
Reform des europäischen Asylsystems ist indes festgefahren.

SANKTIONEN GEGEN RUSSLAND

Keine Fortschritte im Friedensprozess für die Ukraine = keine
Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland. Diese Position
bekräftigte der EU-Gipfel am Donnerstagabend. Die Folge: Die
turnusgemäß Ende Juli auslaufenden Handels- und
Investitionsbeschränkungen werden um weitere sechs Monate verlängert.